"Die
Ultraorthodoxen gehen nicht zur Armee", das weiß in Israel jedes Kind.
Aber wie konnte es eigentlich dazu kommen? Und stimmt das so pauschal?
"Thorato Omanuto" heißt der Ausdruck aus dem Talmud, mit dem das
Abkommen zwischen Religiösen und dem Staat in der Regel beschrieben
wird. Auf Deutsch "Seine Kunst [Beschäftigung] ist die Thora".
 (Foto: Moti Milrod)
Noch vor der Staatsgründung, nämlich im März 1948, legte das
Oberkommando der Hagana, des Vorgängers der Israelischen
Verteidigungsstreitkräfte, fest: "Es wurde entschieden, dass wer an
einer Yeshiva studiert […] vom Armeedienst befreit ist". Ein Grund
dafür, die Schüler vom Militärdienst zu befreien, war die Fortführung
der Tradition der großen Yeshivot in Europa, die in der Shoah vernichtet
worden waren.
1949 entschied dann Ministerpräsident David Ben -Gurion, eine kleine
Zahl von Yeshiva-Studenten für eine begrenzte Zeit unter der Bedingung
von der Wehrpflicht freizustellen, dass sie keiner anderen Beschäftigung
als dem Thora-Studium nachgehen.
400 junge Männer betraf dies im jungen Staat, das waren 0,07% der Bevölkerung.
1954 verfügte Verteidigungsminister Pinchas Lavon, Thora-Schüler nach
vier Jahren des Studiums zum Armeedienst einzuziehen. Nach Protesten
wurde die Regelung nicht umgesetzt.
1968 schließlich begrenzte Verteidigungsminister Moshe Dayan die Zahl
der zu befreienden Yeshiva-Studenten auf 800 – und verpflichtete sich
gleichzeitig, die Regelung fortzuführen.
Mit der Koalition Menachem Begins von 1977, an der auch die orthodoxe
Partei Agudat Israel beteiligt war, wurde die Deckelung offiziell
aufgehoben, die jedoch auch zuvor schon nicht angewendet worden war, um
die Einziehung durchzusetzen.
1970, 1981 und 1986 wurde beim Obersten Gerichtshof
Verfassungsbeschwerde gegen die Regelung eingelegt. Alle drei Male wurde
die Klage mit unterschiedlichen Begründungen abgewiesen.
1986 wurde ein Unterausschuss des Verteidigungsausschusses der
Knesset eingesetzt, um die Regelung zu prüfen. 1988 legte der
Unterausschuss seine Empfehlungen vor, die umfangreiche Reformen
bedeutet hätten. Diese wurden jedoch nicht umgesetzt.
 (Foto: IDF)
Die Zahl der vom Armeedienst befreiten Yeshiva-Studenten stieg
dramatisch an. Waren es 1974 noch 2,4% des Jahrgangs gewesen, die unter
die Regelung fielen, waren es 1999 bereits 9,2%. 2005 fielen 41.450
Männer unter die Regelung. 16% des Jahrgangs 2010 wurden vom Armeedienst
freigstellt.
Seit den 1990er Jahren mehrten sich auch im ultraorthodoxen Sektor
selbst die Stimmen, die die Befreiung vom Militärdienst als
problematisch betrachteten. Als wichtiges Problem stellte sich die
Tatsache dar, dass eine Armeebefreiung unter der Voraussetzung, das
ganze Leben müsse der Thora gewidmet sein, praktisch einem Arbeitsverbot
und damit relativer Armut gleichkommt.
Ende 1998 stellte der Oberste Gerichtshof fest, dass die Regelung
nicht rechtmäßig sei. 1999 wurde daraufhin die sogenannte
"Tal-Kommission" unter Vorsitz des ehemaligen Richters Tzvi Tal
eingesetzt, deren Ziel die Ausarbeitung von Vorschlägen für eine
Neuregelung war. 2000 legte die Kommission ihren Bericht vor, und im
Juli 2002 schließlich passierte das "Tal-Gesetz" die Knesset, das
letztendlich nur geringfügige Veränderungen zur bereits bestehenden
Regelung enthielt. Yeshiva-Studenten erhielten weiter einen Aufschub,
mussten sich jedoch im Alter von 22 Jahren entscheiden, ob sie einen
Beruf ergreifen und damit zunächst einen verkürzten Armeedienst oder ein
soziales Jahr absolvieren wollten oder ihr Leben tatsächlich auch
weiterhin der Thora widmen würden. Darüber hinaus sollten besondere
Einheiten für Ultraorthodoxe geschaffen werden. Ziel der Regelung war,
letztendlich mehr Ultraorthodoxe für den Arbeitsmarkt zu gewinnen.
2005 erklärte der Staat gegenüber dem Obersten Gerichtshof, die Ziele des Tal-Gesetzes seien nicht erreicht worden.
Im Mai 2006 entschied der Oberste Gerichtshof, dass das Tal-Gesetz
die Würde jener Bürger verletze, die in den Israelischen
Verteidigungsstreitkräften dienen. Dennoch wurde die Verlängerung um ein
Jahr ermöglicht. Ein Jahr später, im Juli 2007, beschloss die Knesset
die weitere Verlängerung des Gesetzes um fünf Jahre.
2009 veröffentlichte die Personalabteilung von ZAHAL Zahlen, die
zeigten, dass die Zahl der vom Pflichtdienst befreiten Yeshiva-Studenten
seit Verabschiedung des Tal-Gesetzes weiter angestiegen war.
Am 21. Februar 2012 untersagte der Oberste Gerichtshof fünf Monate vor Ablauf des Gesetzes seine weitere Verlängerung.
Eine Neuregelung steht noch aus, verschiedene Varianten werden intensiv diskutiert.
Lesen Sie hierzu auch die Kommentare auf unserer Website:
Ultraorthodoxe zur Armee – Es könnte funktionieren http://embassies.gov.il/berlin/NewsAndEvents/Kommentare/Pages/Ultraorthodoxe-zur-Armee-Es-koennte-funktionieren.aspx
Eine kluge Entscheidung http://embassies.gov.il/berlin/NewsAndEvents/Kommentare/Pages/Eine-kluge-Entscheidung.aspx |