Moshe Kahlon, Minister für Kommunikation und Soziales, hat dem „Kalkalist“ ein Interview zur Möglichkeit von Reformen im sozialen und im Kommunikationssektor gegeben.
Zur Frage, ob es in Israel Geschäftsmänner gebe, die zu viel Macht über den Markt hätten, erklärte der Minister, der in der israelischen Öffentlichkeit vor allem für seinen Bruch des Kartells auf dem Mobilfunkmarkt viel Anerkennung erhalten hat:
„Es gibt zehn bis zwanzig Handelsgruppen in Israel, in deren Händen sich 50% des Kapitals im Land befinden. Ohne Zweifel stellt dies ein Problem dar, um das sich die Kommission gegen Monopolisierung kümmern wird. Es wird nicht einfach, doch es wird passieren.“
Die Lösung für die steigenden Lebenshaltungskosten liegt Kahlons Meinung nach in der Stärkung des Wettbewerbes:
„Wohnen, Gesundheitsschutz, Ausbildung, Medien – all dies sind lebenswichtige Dinge. Es geht hier nicht um eine Reform des Marktes für Whisky und Kaviar. In allen Bereichen muss man mutig vorgehen und denselben Grundsatz anwenden: Die Wertschöpfungskette muss von Anfang bis Ende untersucht werden. Als nächstes müssen die Beschränkungen der Märkte aufgehoben werden. Eine andere Methode ist mir nicht bekannt.“
So sei er etwa bei der Reform des Mobilfunkmarktes vorgegangen.
Gleichzeitig müssten aber auch die krassen Unterschiede in der Gesellschaft aufgehoben werden.
„Der Zustand, dass es eine Gesundheitsversorgung für Arme und eine für Reiche gibt muss aufhören. Ebenso der Zustand, dass es Ausbildung für Arme und für Reiche gibt. Genauso sieht es mit Straßen für Arme und für Reiche aus. Der Staat Israel kann sich das nicht leisten. Wenn die Situation jetzt nicht in die Luft fliegt, fliegt sie später in die Luft.“
Zur Privatisierung erklärte der Minister: „Es wurde zu viel privatisiert, und wir müssen die Richtung ändern. Im Pflegesektor etwa, werde ich die Preise für die Dienstleistungen untersuchen lassen und die Tarife der privaten Subunternehmer. Wenn eine Firma für 100 Shekel (ca. 20 Euro) am Tag einen alten Menschen pflegt, kann sie ihm nur zwei Mal am Tag die Windel wechseln, ansonsten wird sie Verluste einfahren. Über die Pflege alter Menschen darf nicht nach finanziellen Gesichtspunkten entschieden werden.“
Der Minister möchte aber etwa die Altenpflege nicht wieder in staatliche Hand geben, sondern Standards festlegen, die für die Pflege gelten sollten. In der Vergangenheit, so Kahlon, sei zu häufig nur der niedrige Preis entscheidend gewesen.
Auch in der Marktwirtschaft spricht sich Kahlon für einen Mittelweg aus: „Ich glaube an eine freie Wirtschaft, aber die Regulierung ist dabei sehr wichtig. Die Lösung liegt nicht im Raubtierkapitalismus und nicht in sozialistischen Träumereien. Diese Begriffe sind doch schon lange nicht mehr aktuell.“
(Kalkalist, 24.08.11) |
Von Inbal Zidar
Für eine Schwangerschaft gibt es nie den richtigen Zeitpunkt. Immer gibt es ein wichtiges Projekt bei der Arbeit, Druck im Studium, Geldprobleme. Und trotzdem ist den Menschen klar, dass man, wenn man Kinder haben will, die „Trotz-allem“-Strategie anwenden muss. Auch wenn es nicht bequem ist.
Gleiches gilt auch für die gesellschaftliche Revolution, die sich hier im letzten Monat ereignet – die sozialen Proteste und die Sicherheitslage im Süden schließen einander nicht aus. Wenn überhaupt, dann passt beides gut zusammen.
Es besteht eine direkte Verbindung zwischen sozialer Gerechtigkeit und nationaler Sicherheit. Ein Staat, in dem die gesellschaftlichen Unterschiede immer größer werden, führt zu einer Gesellschaft, die es nicht schafft, ihre die Sicherheit betreffenden Herausforderungen zu bewältigen. Soziale Gerechtigkeit bedeutet, dass Menschen wissen, dass wenn sie in die Schlacht ziehen, sie auch einen Grund haben, zurückzukehren. Denn Krieg wird nicht um Boden geführt sondern um das Leben, das wir auf diesem Landstrich begründet haben.
Wenn wir für uns selbst ein angemessenes Leben schaffen können (wir verlangen keine „perfekte Gesellschaft“, nur ein angemessenes Leben), dann werden die Menschen sich, wenn notwendig, entscheiden, für unser Land zu sterben. Aber wenn sich hier die moralische Fäulnis ausbreitet, dann wird es bald keine Rechtfertigung mehr dafür geben, das zu bewahren, was wir hier geschaffen haben.
Der Kampf für soziale Gerechtigkeit muss mit voller Kraft für die Einwohner Eilats, Ashkelons, Ashdods und Beer Shevas fortgesetzt werden. Wir müssen dafür sorgen, dass sie, wie alle Einwohner des Staates Israel, die beste Ausbildung bekommen, die beste Gesundheitsversorgung, das beste öffentliche Verkehrssystem, die besten Sozialleistungen, die attraktivsten Arbeitsplätze und überhaupt – Lebensqualität. Wir müssen für alle Einwohner des Staates Israel eine Lebensqualität auf hohem und gleichem Niveau sicherstellen, damit die Menschen wohnen können, wo sie wohnen wollen. Und wenn dann ihre Wohnorte angegriffen werden, wissen sie, dass dies angesichts der hohen Lebensqualität zu ertragen ist.
Die Gefahr, der Israel ausgesetzt ist, kommt nicht allein von äußeren Bedrohungen, sondern von dem Gefühl der Menschen, dass sie hier nicht leben können. Die gesellschaftlichen Gräben drohen, sie in die Knie zu zwingen. Es ist wichtig, dass wir in Ruhe leben können, aber es ist auch wichtig, dass wir einen Grund dafür haben zu leben. Wenn Menschen darüber verzweifelt sind, dass die Gräben größer und die Errungenschaften in der Ausbildung weniger werden, wenn das Leben in der Peripherie deprimierend ist und die Gesundheitsversorgungen und die sozialen Dienste privatisiert, werden sie zweimal nachdenken, bevor sie bereit sind, die Landesgrenzen zu verteidigen, egal ob zu Hause oder wirklich auf dem Schlachtfeld.
Das erinnert mich an die Geschichte von dem armen Chinesen, der als Lohn für seine Arbeit zwei Münzen erhält. Mit der ersten kauft er Brot und mit der zweiten eine Blume. Man fragt ihn, warum er nicht auch mit der zweiten Münze Brot gekauft habe, und er sagt: „Die erste ist, damit ich irgendwie leben kann, die zweite, damit ich einen Grund habe zu leben.“
Ich nehme nicht für eine Sekunde die Sicherheitslage nicht ernst, aber wenn wir so weitermachen wie bisher und jede Diskussion über die Gesellschaft, die wir hier begründen wollen, für eine Diskussion über die Sicherheit abwürgen, dann haben wir vielleicht irgendwann einen geschützten Staat, aber der wird dann Bürger beschützen, die einander umbringen.
Wir haben jetzt eine einzigartige Gelegenheit, auf das Wesen des Staates Israel Einfluss zu nehmen. Bis jetzt hat der Sicherheitsdiskurs den gesellschaftlichen Diskurs verdrängt, obwohl die Zahl der Menschen, die als Ergebnis der Überfüllung von Krankenhäusern, Wohlfahrtsstellen, der Privatisierung gesellschaftlicher Dienstleistungen, durch Umweltvergiftung und wegen der Abwesenheit guter Infrastruktur auf den Straßen ihr Leben verloren haben, bedeutend größer ist als die Zahl der Toten und Verletzten bei Terroranschlägen.
Gehen wir davon aus, dass wir eine Gesellschaft sind, die das Leben liebt, dürfen wir den gesellschaftlichen Kampf nicht vernachlässigen, sondern wir müssen ihn fortführen, bis wir es schaffen, die Prioritäten im Staat neu zu definieren und den Staat, auf den wir die ganzen Jahre gehofft haben, aufzubauen.
Stellen Sie sich vor, der Staat würde genauso gegen gesellschaftliche Bedrohungen vorgehen wie er gegen Bedrohungen der Sicherheit vorgeht: Eine Diskussion über überfüllte Abteilungen in Krankenhäusern und Unterversorgung führt zum Bau neuer Krankenhäuser. Ein Arbeitgeber, der nur Leiharbeiter einstellt, wird geächtet, bis er zu direkten Beschäftigungsverhältnissen übergeht. Straßen, die Schäden aufweisen, werden geschlossen.
Leider bin ich pessimistisch und glaube, dass Israel nicht zum letzten Mal vor einer Herausforderung seiner Sicherheit steht. Und gerade deshalb glaube ich, dass ein Schwangerschaftsabbruch jetzt ein Fehler wäre.
Die Autorin ist Sozialarbeiterin und engagiert sich bei den gegenwärtigen Sozialprotesten in Tel Aviv.
Die im Newsletter veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der israelischen Regierung wieder, sondern bieten einen Einblick in die politische Diskussion in Israel.
(Ynet, 22.08.11) |