Von Yoram Gabbai 60 Jahre nach Staatsgründung erleben wir in Israel eine
Wirtschaft, die ihr Können und ihre Wettbewerbsfähigkeit in globalem
Maßstab bewiesen hat. Bezeugt wird dies durch einen Shekel, der eine
der stärksten Währungen weltweit ist und von einem Überschuss in der
Zahlungsbilanz gestützt wird.
Bei näherem Hinsehen auf israelische Unternehmen erkannt man
zahlreiche Beispiele für die erfolgreiche Transformation von lokalen
Betrieben zu multinationalen Firmen. Während bislang ausschließlich
von High-tech und Start-ups die Rede gewesen ist, findet man heute
Israelis in allen Arten von Unternehmen und ist beeindruckt von
ihren Führungs- und Unternehmerfähigkeiten.
Im vergangenen Jahr wählte die Tel Aviver Börse fünf an ihr
gehandelte Unternehmen aus, die beispielhaft sind für den Trend zu
globaler Exzellenz. Teva, der weltweit größte Generika-Hersteller,
hat seinen Sitz in Israel, während die Strauss-Gruppe, die als
Familienmolkerei begonnen hat, nach Lateinamerika, Osteuropa und
anderswo expandiert ist. Elbit, ein Sicherheitselektronik-Hersteller
hat verstanden, dass Staaten ihre Waffen nur von ‚lokalen’ Firmen
beziehen und daher internationale Tochtergesellschaften gegründet.
Der Erdwärmeenergie-Produzent Ormat betreibt Fabriken und
Forschungszentren im Land, während die eigentlichen Kraftwerke im
Ausland gebaut werden. Israel Chemicals exportiert die Bodenschätze
des Landes in die ganze Welt.
Abgesehen von Fabrikation und High-tech sind Israelis
international auch im Immobiliengeschäft tätig; israelische Magnaten
sind in Projekte in London, Toronto, Osteuropa und den USA
involviert. Banker, Anwälte und Steuerberater schließen
internationale Geschäfte ab.
Dieser Artikel behandelt die wundersame Transformation der
israelischen Wirtschaft im Lauf der letzten zwei bis drei
Jahrzehnte.
Das „verlorene Jahrzehnt“
In den frühen 80er Jahren durchlief Israel eine Wirtschaftskrise,
deren Wurzeln im Yom Kippur-Krieg von 1973 und dem anschließenden
Ölembargo lagen; sie dauerte bis 1985. In diesem „verlorenen
Jahrzehnt“ der israelischen Wirtschaft ging das Pro-Kopf-Wachstum
gegen Null, die Inflation ereichte dutzende oder gar hunderte Punkte
im Jahr, und es gab erschreckende Defizit- und Schuldenniveaus.
Während dieser Zeit wurden sowohl der Privat- als auch der
quasi-öffentliche Sektor (Krankenversicherung, Rentenpläne,
Kibbutzim) völlig ineffizient und beinahe gänzlich abhängig vom
Staat, der zu jener Zeit für 70% des Bruttoinlandsprodukts
verantwortlich war.
Die israelische Industrie erhielt großzügige Kreditsubventionen
und Tarifschutz, während der Finanzsektor in weiten Teilen
verstaatlicht wurde (mit Steuervergünstigungen für „Sonderanleihen“
der Regierung) und fast alle Märkte geschlossen waren. Allgemein
hielten sich die Israelis im Außenhandel zurück, während
ausländische Investoren vor Verpflichtungen in der politisch und
wirtschaftlich instabilen Atmosphäre zurückschreckten.
Einem zu jener Zeit beliebten Witz nach bestand der einzige Weg,
zu einem kleinen Vermögen in Israel zu kommen, darin, mit einem
großen Vermögen im Land einzutreffen. Am Höhepunkt der Krise 1984/85
war Israel ein totaler wirtschaftlicher Fehlschlag. Zwei wesentliche
Reformen waren notwendig, um das Land wieder ins Gleis zu bringen.
Das Stabilisierungsprogramm von 1985
Das 1985 von der Regierung verabschiedete Stabilisierungsprogramm
schaffte es, die Inflation von rund 400% auf kontrollierbarere 20%
zu senken, stabilisierte die Zahlungsbilanz, brachte aber vor allem
das Defizit von 15% des Bruttoinlandsprodukts auf ein Plus von 1%.
1986 waren die Regierungsausgaben zurückgeschnitten, und es war der
Regierung gesetzlich untersagt, zur Deckung von Defiziten neues Geld
zu drucken, weswegen sie sich auf öffentlich gehandelte
Obligationen stützen musste.
Die massive Reduzierung bei den Ausgaben zwang die privaten und
quasi-öffentlichen Sektoren zu mehr Effizienz, da man nicht mehr auf
Finanzierung durch die Regierung vertrauen konnte. In den Jahren
1985 bis 1990 machte der Privatsektor große Forschritte in der
Effizienz und der Produktivität von Beschäftigten, während die
Gewerkschaften geschwächt wurden und die Betriebsführungen die
Möglichkeit erhielten, Angestellte nach eigenem Gutdünken zu
entlassen.
Marktliberalisierung 1991-2004
1991 fällte Israel die wichtige strategische Entscheidung, die
Sektoren von Konsumgütern, Währung und Investition für den
internationalen Wettbewerb zu öffnen.
Die Zölle wurden langsam so weit gesenkt, dass der effektive
Zolltarifschutz heute weniger als 1% beträgt. In der Zwischenzeit
wurden die Währungsmärkte und später auch die Investitionen
liberalisiert, und 2004 glich Israel die Besteuerung von
ausländischen und heimischen Investitionen einander an.
Die Liberalisierung der Finanzmärkte wurde mit der
Fortentwicklung des Aktienmarktes abgeschlossen, indem alle
Finanzinstrumente einschließlich der Rentenfonds völlig
marktabhängig gemacht wurden. Bereiche wie Telekommunikation, Häfen
und Bankwesen wurden privatisiert.
Die Folgen der Globalisierung
In den vergangenen fünf Jahren ist der israelische Markt
völlig globalisiert worden, und der Erfolg war eindrucksvoll.
Israelische Unternehmer und Geschäftsleute haben die Möglichkeiten
des globalen Handels in vollen Zügen zu nutzen gewusst. Die
Regierung hat die Politik von Haushaltsstabilität, Schuldenabbau und
Niedriginflation beibehalten, ausländische Investoren haben
begonnen, Israel als primären Investitionsstandort zu
betrachten.
Der Erfolg des Landes lässt sich auch an seinem Abschneiden bei
den führenden Wirtschaftsindikatoren erkennen: Platz eins bei der
Pro-Kopf-Investition in Forschung & Entwicklung und bei
Start-ups pro Kopf. Der Wirtschaftssektor rangiert auch sehr hoch
(Platz acht weltweit) in Bezug auf Kreativität und Geschäftssinn,
technologische Gewandtheit, Verbreitung höherer Bildung etc.
Herausforderungen der Zukunft
Trotz dieser beeindruckenden Errungenschaften steht Israel
ernsten wirtschaftlichen Herausforderungen gegenüber, vor allem im
Zuge der andauernden globalen Finanzkrise, die globalisierte
Wirtschaften wie Israel stark betrifft. Israel wird einer
Feuerprobe für die unternehmerischen und kaufmännischen Fähigkeiten
seiner Wirtschaftsführung gegenüberstehen. Eine andere
Herausforderung ist die Reform des öffentlichen Sektors, der –
wenngleich finanziell stabil – wenig Ergebnisse in Bereichen wie
Erziehung (Rang 40 von 57 Ländern), Infrastruktur und Umweltschutz
hervorgebracht hat. Die soziale Ungleichheit unter israelischen
Arbeitnehmern ist eine der schlimmsten der Welt, und es gibt nur
einen geringen Grad an wirtschaftlicher Beteiligung.
Die Umgestaltung des öffentlichen Sektors ist entscheidend für
den wirtschaftlichen Erfolg der Nation, sie ist eine unserer
zentralen Herausforderungen für die kommenden Jahre.
Yoram Gabbai ist Vorstandsvorsitzender von Peilim Investments
und früherer Leiter der Behörde für Staatseinkünfte im israelischen
Finanzministerium.
(The Jerusalem Post, 17.11.08)
Die im Newsletter veröffentlichten Kommentare geben
nicht grundsätzlich den Standpunkt der israelischen Regierung
wieder. |