Von Jonathan Spyer In den vergangenen Wochen haben prominente Vertreter der Fatah
vorgeschlagen, dass die Bewegung ihre Verpflichtung gegenüber der
„Zwei-Staaten-Lösung“ des israelisch-palästinensischen Konflikts
aufgeben und zu der Forderung nach Abschaffung Israels zugunsten
eine einzigen Staates auf dem Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer
zurückzukehren könnte, die man vor 1988 erhoben hatte.
Sie behaupten, dass Israels Politik im Westjordanland sie dazu
zwinge, ihre Verpflichtung gegenüber der Teilung zu überdenken.
Tatsächlich war das, was einst als „demokratischer, säkularer Staat“
bekannt war und nun „Ein-Staaten-Lösung“ heißt, das Endziel des
modernen palästinensischen Nationalismus’ für die meiste Zeit seiner
Geschichte. Das Wiederauftauchen dieser Idee sollte nicht
überraschen. Sie ist das natürliche Produkt der Charakterisierung
des Konflikts von Seiten des palästinensischen Nationalismus.
Die Ein-Staaten-Lösung wird von ihren Anhängern als
nicht-ethnische, nicht-nationalistische Alternative zum ethnischen
Nationalismus verfochten, der von Israel repräsentiert werde. Laut
Virginia Tilly, einer prominenten Unterstützerin der
Ein-Staaten-Idee im Westen, beruht Israel auf der „diskreditierten
Idee, auf die der politische Zionismus alle seine moralische
Autorität stützt, dass jede ethnische Gruppe einen legitimen
Anspruch auf die formale Herrschaft über einen Nationalstaat für
sich beanspruchen kann“.
Diese Formulierung ist verlogen. Ahmed Qurei und Sari Nusseibeh,
zwei der prominentesten Palästinenser mit offensichtlich wachsender
Sympathie für die Ein-Staaten-Idee, sind auch Mitglieder einer
unverhohlen nationalistischen Bewegung, die von einem spezifischen
arabischen und muslimischen Kontext herrührt.
Die Palästinensische Autonomiebehörde beschreibt das
palästinensische Volk in ihrer Verfassung in ethnischen und
religiösen Begriffen als „Teil der arabischen und islamischen
Nationen“. Dieses Dokument erklärt den Islam zur offiziellen
Religion des palästinensischen Staates und bezeichnet das Gesetz der
Sharia als „Hauptquelle der Rechtssprechung“. Insofern basiert es -
was für eine Auseinandersetzung die ‚Einstaatler’ auch immer mit
Israel haben – nicht auf einer prinzipiellen Ablehnung des
ethnischen Nationalismus. Warum wird aber der Ein-Staaten-Forderung
dann das Wesen des „Nicht-Nationalen“ und Bürgerrechtlichen
zuerkannt?
Die Gründe für den Mangel an konzeptueller Klarheit an den
Wurzeln der Ein-Staaten-Idee sind sowohl pragmatischer als auch
konzeptueller Natur. Pragmatisch betrachtet wäre eine öffentliche
Verpflichtung gegenüber der Leugnung der nationalen Rechte der
anderen Seite kontraproduktiv. Es würde die Europäer und Amerikaner
aufregen, die den Großteil der Rechnung für das palästinensische
Nationalprojekt bezahlen.
Offensichtlich hofft man jedoch, dass die Umetikettierung des
palästinensischen Nationalismus im Stile der Fatah durch die
Verwendung der Sprache der US-Bürgerrechtsbewegung von vor 50 Jahren
dazu führen könnte, dass zumindest einige Beobachter nicht bemerken,
dass die Ein-Staaten-Lösung zufällig das Verschwinden eines
rechtlich verankerten jüdischen Staates bedeuten würde und in der
Folge das Ende des Rechts auf Selbstbestimmung der israelischen
Juden. Mit anderen Worten: Entgegen ihrer nicht-ethnischen,
nicht-nationalistischen Grundlage schließt die Ein-Staaten-Lösung
auch die volle Verwirklichung des Programms des palästinensischen
Nationalismus ein.
Dieser Verdunkelungsversuch ist grotesk. Auf konzeptueller Ebene
ist die gegenwärtige Neubelebung der Idee allerdings von größerem
Interesse. Sie zeigt das Ausmaß, in dem der Mainstream des
palästinensischen Nationalismus den Konflikt mit Israel weiterhin
als einen zwischen einem Kolonialprojekt und einer
Befreiungsbewegung betrachtet.
Trotz der kurzen Periode der scheinbaren Verpflichtung gegenüber
der Teilung in den 90er Jahren hat der palästinensische
Nationalismus keine Revolution in seinem Denken durchlaufen, in
Richtung der Neuformulierung des Konflikts als einem zwischen
rivalisierenden nationalen Gruppen, die beide grundsätzliche
Legitimität besitzen. Dies selbstverständlich war der Ansatz der
vermeintlichen Partner auf der israelischen Linken.
Aber diese Idee fand und findet kein Echo unter den
Palästinensern. Die Fatah bleibt überzeugt, dass der Konflikt
zwischen einer tyrannischen Kolonialmacht und einer indigenen
Widerstandsbewegung geführt wird. Dies erklärt die Leichtigkeit, mit
der Pläne zusammenphantasiert werden, die das Verschwinden des
israelisch-jüdischen Kollektivs beinhalten. Die Rhodesier im
südlichen Afrika, die Pieds Noirs in Algerien – alle sind sie
verschwunden. Warum sollten also ihre Äquivalente vor Ort denken,
dass ihr Schicksal anders sein wird? Nach dieser Lesart ist
die Leugnung der nationalen Rechte der israelischen Juden, indem man
sie zu einer Minderheit in einem arabischen und muslimischen Staat
macht, überhaupt keine Leugnung, denn die Zugehörigkeit zu einem
historisch illegitimen Kollektiv verleiht keinerlei Rechte.
Das Problem ist freilich, dass die israelischen Juden weder
Rhodesier noch Pieds Noirs sind. Sie weigern sich infolgedessen, die
Rolle zu spielen, die ihnen im Denken der Fatah zugewiesen wird.
Sollte die Fatah sich wirklich dazu entschieden, zu ihrer alten
militanten Haltung von vor 40 Jahren zurückzukehren, wird sie in
eine weniger religiöse und weniger ernste Imitation ihrer
islamistischen Rivalen verwandelt werden. Die wahrscheinlichste
Prognose ist allerdings, dass dies nicht geschehen wird. Im
wirklichen Leben fürchten die Fatah-Führer die Hamas mehr als
Israel, und in jedem Fall befinden sie sich in einer Art
Patron-Schützling-Beziehung mit dem Westen. Daher wird die vor uns
liegende Periode eine Welle von Geschwall, vagen Drohungen und
Bezichtigungen erleben, die von Fatah-Freunden in westlichen
Universitäten und Medien bereitwillig wiederaufbereitet werden.
Die Fatah hat den Chancen einer Teilung eine Abfuhr erteilt, weil
sich ihre Führung letztlich nie ganz aus der konzeptuellen
Zwangsjacke der Ein-Staaten-Lösung befreit hat. Der Bewegung droht
nun noch ein weiterer Rückschritt auf dem Pfad, den sie in den 90ern
eingeschlagen hat, bis hin zu dem Punkt, an dem sie in den späten
60ern ihre Reise begann. Das ermüdende Spektakel eines
zurückweisenden Nationalismus, der sich als Martin Luther King Jr.
zu verkleiden sucht, ist das jüngste skurrile Produkt der
einzigartigen nahöstlichen Mischung aus Tragödie und Farce.
Jonathan Spyer ist Senior Research Fellow am Global Research
in International Affairs Center (IDC) in Herzliya.
(Haaretz, 29.08.08)
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