Von John R. Bolton Am vergangenen Wochenende ist eine weitere ‚Deadline’ abgelaufen,
innerhalb derer der Iran erkennen lassen sollte, ob er ernsthaft
bereit dazu sei, über die Einstellung seines Strebens nach
Atombomben zu diskutieren. Wie so viele andere Deadlines jener fünf
Jahre europäisch geführter Verhandlungen ist auch diese in Stille
abgelaufen; Brüsseler Diplomaten sagten, niemand habe mit wirklicher
Arbeit an einem Samstag gerechnet.
Die Tatsache, dass die Europäer Recht haben – diese letzte
Deadline ist keine wirklich große Neuigkeit -, ist genau das Problem
bei ihren Verhandlungen und der stillschweigenden Hinnahme dieses
Bemühens durch die Bush-Administration.
Die Rationalität andauernder westlicher Verhandlungen mit dem
Iran hängt entscheidend von zwei Annahmen ab: dass der Iran weit
genug entfernt vom Besitz von Atomwaffen ist und wir somit keine
übermäßigen Risiken mit den Gesprächen eingehen; und dass wir durch
die Gespräche die Option des Einsatzes von militärischer Gewalt
nicht wesentlich behindern. Letzterer Punkt impliziert die weitere
Annahme, dass die militärische Option statisch ist – dass sie in
einem Jahr noch gleichermaßen gültig ist wie heute.
Keine dieser Annahmen ist korrekt. Können wir glauben, dass wir
weiterhin „rechtzeitig“ eine militärische Aktion zur Verhinderung
iranischer Atomwaffen ergreifen können, falls die Diplomatie
scheitert? Die „Gerade noch rechtzeitig“-Nichtverbreitung
setzt einen Grad an geheimdienstlicher Gewissheit in Bezug auf das
iranische Atomprogramm voraus, vor der uns die jüngste Geschichte
eindeutig warnen sollte.
Jeder Tag, der vorüber geht, gestattet es dem Iran, die von ihm
ausgehende Bedrohung zu steigern, und währenddessen sinkt die
Viabilität der militärischen Option. Es gibt eine Anzahl von
Gründen, warum dem so ist.
Erstens: Während die europäisch geführten Verhandlungen
voranschreiten, setzt der Iran die Umwandlung von Uran vom
Festkörper (Uranoxid, U3O8, auch gelber Kuchen genannt) zu einem Gas
(Uranhexafluorid, UF6) in seiner Uranumwandlungsanlage in Isfahan
fort. Obgleich es sich hier um einen rein chemischen Prozess
handelt, ist die Umwandlung komplex und bringt Gesundheits- und
Sicherheitsrisiken mit sich.
Je mehr jedoch der andauernde Betrieb in Isfahan den UF6-Bestand
und die technische Expertise erhöht, desto geringer wird der Effekt
einer Zerstörung der Anlage. Der Iran häuft Vorräte von UF6 an, das
er dann selbst während eines Wiederaufbaus von Isfahan nach einem
Angriff oder im Fall des Baus einer neuen Umwandlungsanlage anderswo
anreichern kann.
Zweitens: Eine Verzögerung erlaubt es dem Iran, seinen Vorrat an
niedrig angereichertem Uran (LEU) zu vergrößern – UF6-Gas, bei dem
die U235-Isotop-Konzentration (die für nukleare Reaktionen sowohl in
Reaktoren als auch Waffen entscheidende Form von Uran) von ihrem
natürlichen Grad von 0.7% auf etwa 3 bis 5% erhöht wird.
Je mehr die LEU-Vorräte wachsen, desto mehr wächst auch die
Fähigkeit Teherans den nächsten Schritt zu nehmen und sie zu
waffenfähigen Konzentrationen von mehr als 90% (hoch angereichertes
Uran oder HEU) anzureichern. Einige in Nuklearfragen Unbewanderte
schätzen die Differenz in den LEU-HEU-Konzentrationsgraden gering
ein. Die Wahrheit ist weit davon entfernt. Die Anreicherung von
natürlichem Uran durch Zentrifugen zu LEU nimmt etwa 70% der
Arbeit und Zeit in Anspruch, die für seine Anreicherung zu HEU
benötigt wird.
Insofern eliminiert eine Zerstörung der Anreicherungsanlage in
Natanz nicht das existierende angereicherte Uran (LEU), das sich
nach Einschätzung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) im
Mai 2008 auf die Hälfte dessen beläuft, was für eine Atombombe
benötigt wird. Der Iran hat also mit jedem Kilogramm von auf
LEU-Grad angereichertem Uran bereits mehr als Zweidrittel des Weges
zu waffenfähigem Uran zurückgelegt. Und so wie der LEU-Bestand
wächst, so steigt auch das Risiko, dass bei einem Militärschlag ein
oder mehrere Speichertanks getroffen werden und damit erhebliche
Mengen von radioaktivem Gas in die Atmosphäre strömen.
Drittens: Obwohl man es nicht sicher wissen kann, weist alles
darauf hin, dass der Iran seine Nuklearanlagen auf unbekannte Orte
verteilt, womit er Luftangriffe gegen die bereits bekannten
„erschwert“, und tiefer vergrabene Anlagen an bekannten Orten für
zukünftige Operationen vorbereitet. Das bedeutet, dass die
Erfolgsaussichten etwa gegen die Anreicherungsanlage in Natanz
geringer werden.
Viertens: Augenscheinlich steigert der Iran seine
Verteidigungsfähigkeiten durch den Erwerb russischer
S-300-Flugabwehrsysteme (auch bekannt als SA-20), direkt oder über
Weißrussland. Ende Juli haben Verteidigungsminister Robert M. Gates
und sein Sprecher israelischen Behauptungen widersprochen, wonach
die neuen Flugabwehrsysteme noch dieses Jahr in Betrieb gehen
würden. Wenn das Pentagon Recht hat, würde seine eigene Einschätzung
des Timings das Argument für einen israelischen Schlag lieber früher
als später noch verstärken.
Fünftens: Der Iran baut die Angriffsfähigkeiten von
Stellvertretern wie Syrien und Hisbollah weiter aus; beide haben ein
Raketenpotential, das nach Israel herüberreicht, und bedrohen die
US-Truppen und Freunde und Verbündete der USA in der Region. Es
könnten durchaus Syrien und die Hisbollah sein, die nach einem
israelischen Angriff auf iranische Nuklearanlagen Vergeltung üben
und dadurch weitere Schläge gegen den Iran zumindest kurzfristig
erschweren werden.
Der Iran verfolgt zwei Ziele gleichzeitig, beide sind in
komfortabler Reichweite. Das erste – die für eine verfügbare
Atomwaffe nötigen Fähigkeiten zu erlangen – lässt sich nahezu sicher
nicht mehr diplomatisch verhindern. Daher wird Irans zweites
Ziel entscheidend: dafür zu sorgen, dass die Risiken eines
militärischen Angriffs gegen ihn zu groß und die Wahrscheinlichkeit
des Erfolgs einer Zerschlagung des Programms zu niedrig sind. Beim
Erreichen dieser Ziele hat der Iran die Zeit auf seiner Seite.
US-amerikanische und europäische Diplomaten sollten dies bedenken,
wenn sie am Telefon auf einen Anruf des Iran warten.
John Bolton ist Senior Fellow am American Enterprise
Institute und früherer UN-Botschafter der USA.
Originaltext: http://online.wsj.com/public/article_print/SB121789278252611717.html
(The Wall Street Journal, 05.08.08)
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