Von Amos Harel und Avi Issacharoff In den Jahren vor dem Sechs-Tage-Krieg war im geteilten Jerusalem
das Phänomen des „verrückten Jordaniers“ verbreitet: ein Soldat der
Arabischen Legion, der plötzlich und ohne augenscheinlichen Grund
auf Zivilisten auf der israelischen Seite der Grenze zu schießen
begann. Die Jordanier pflegten zu behaupten, dass es sich um einen
Verrückten handeln würde, und stahlen sich damit aus der
Verantwortung für seine Taten.
Hussam Duwiyat, der Terrorist, der gestern mit einem Bulldozer im
Herzen Jerusalems wütete, und ebenso sein Nachbar Ala Abu-Dahim, der
vor vier Monaten acht Studenten in der Yeshiva Merkaz Harav
ermordete, erscheinen wie die palästinensische Inkarnation desselben
Verhaltensmusters. Auch hier gibt es keine Vorab-Information,
offensichtlich keine Mithelfer bei der Vorbereitung und Durchführung
und mangels Geheimdienstinformationen auch keine Vorbereitung zur
Verhinderung des Anschlags im Vorfeld. Die Agenten der Allgemeinen
Sicherheitsbehörde (SHABAK), die gestern zum Haus der Familie des
Terroristen in Zur Baher in Ostjerusalem kamen, suchen derzeit nach
dem Motiv für die Tat. Sie werden versuchen herauszufinden, wann er
zuletzt eine Moschee besucht und ob er dort außergewöhnliche Hetze
gegen Israel vermittelt bekommen hat.
Foto:
MFA
Ein Teil der Terroristen, die in den vergangenen Jahren in
Eigeninitiative - ohne Verbindung zu irgendeiner Organisation -
gehandelt haben, wurde von tiefem religiösem Glauben angetrieben.
Die Nachbarn des Mörders haben gestern höchst widersprüchliche
Einschätzungen zu seinem Charakter abgegeben, vom „Mann von nebenan“
bis hin zur „verbrecherischen Randfigur“; alle stimmten jedoch darin
überein, dass er nicht regelmäßig Moscheen besuchte. Womöglich hatte
ihn eine persönliche Erfahrung aus der Vergangenheit angestachelt,
etwa ein Streit mit seinem israelischen Arbeitgeber oder die
zufällige Beleidigung durch einen Polizisten.
Nach dem Anschlag im Merkaz Harav ergaben die Investigationen
keine Verbindung zwischen dem Mörder und irgendeiner Organisation.
Der Attentäter, Ala Abu-Dahim, war ein Krimineller, der zum Glauben
zurückgekehrt war. Familienangehörige erzählten, er sei stark von
Aufnahmen getöteter palästinensischer Zivilisten im Gaza-Streifen
beeinflusst gewesen, von der Operation „heißer Winter“ der
israelischen Armee, die wenige Tage vor dem Anschlag beendet worden
war. Dieses Mal ist es in Gaza ruhig gewesen, aber wie es scheint,
braucht nicht jeder Attentäter einen aktuellen Anlass.
In den vergangenen fünf Jahren konnten die Sicherheitsbehörden,
allen voran der SHABAK, einen beeindruckenden Erfolg für sich
verbuchen. Die Zahl der von palästinensischem Terror ermordeten
Israelis ist von 426 im Jahr 2002 auf lediglich 13 im Jahr 2007
zurückgegangen. Auch wer behauptet, dass man nicht von einem
entscheidenden Sieg im asymmetrischem Krieg gegen den Terror
sprechen kann, wird zustimmen, dass Israel dem im Westjordanland so
nahe wie irgend möglich gekommen ist. Die letzten beiden Anschläge
in Jerusalem jedoch waren das, was man als „volkstümlichen Anschlag“
bezeichnet; Geheimdienstinformationen im Vorfeld sind hierzu kaum
möglich. Wenn der Mörder ein isolierter Terrorist ist, ohne
Strukturen im Rücken, wenn er sich nicht vor der Tat einem
israelischen Agenten offenbart, ist es sehr schwer, ihn aufzuhalten.
Dieses Mal stellte noch nicht einmal das Mordinstrument ein Problem
für ihn dar – er arbeitete bei einem Bauunternehmen als fest
angestellter Baggerführer.
Wenn es sich um Bürger Ostjerusalems handelt, sind
Berührungspunkte des potentiellen Mörders mit der Zielbevölkerung
unvermeidlich. Die Araber aus dem Ostteil der Stadt besitzen eine
israelische Identitätskarte – wenn auch keine Staatsbürgerschaft;
sie können sich frei in der Stadt bewegen, sprechen fließend
Hebräisch und erwecken keinen verdacht. Entgegen dem ruhigen
Eindruck ist der Osten der Stadt in beiden Intifadas terroristisch
aktiv gewesen: Etwa 300 Einwohner sind in den vergangenen acht
Jahren wegen Verwicklung in den Terror verhaftet worden.
Gerade weil das Gebiet unter voller israelischer Kontrolle steht,
ist diesmal keine wirkliche Reaktion zu erwarten. Wenn die Hamas
nicht verantwortlich ist und die Palästinensische Autonomiebehörde
(PA) nicht schuld, hat Israel kein Ziel für eine Vergeltung. Zum
Ersatz überboten sich die Politiker (unter ihnen der
Ministerpräsident und der Verteidigungsminister) in
Angriffserklärungen. Scheinbar wird man diesmal versuchen, das Haus
des Terroristen zu zerstören, ein Schritt, dessen man sich im Falle
des Mörders vom Merkaz Harav enthalten hat. Die Begeisterung dafür,
als Wundermittel, wirkt seltsam. Die israelische Armee hat die
Zerstörung von Häusern im Westjordanland 2005 eingestellt, nachdem
eine Kommission unter Vorsitz von General Udi Shani zu dem Schluss
gekommen war, dass die abschreckende Wirkung nicht erwiesen sei und
der Schaden den Nutzen überwiege.
Während der Islamische Jihad den Anschlag in Jerusalem feierte,
hielt sich die Hamas mit begeisterter Zustimmung zurück. Am Haus der
Familie des Terroristen wurden keine Hamas-Flaggen gehisst, die
Familie enthielt auch keine Teilentschädigung von Seiten der
Organisation. Ungeachtet der zweifelhaften kriminellen Vergangenheit
des Täters scheint es, dass die maßvolle Reaktion der Hamas eher mit
ihrer Entscheidung zusammenhängt, im Konflikt mit Israel gegenwärtig
ein niedriges Profil zu bewahren. Der Anschlag in Jerusalem ist der
Hamas zu einer Zeit nicht dienlich, da sie vor allem danach strebt,
die Lebensbedingungen im Gaza-Streifen zu verbessern, und auf das
Einverständnis Israels angewiesen ist, wenn die Grenzübergänge offen
bleiben sollen.
Es ist zweifelhaft, ob der Fahrer des Bulldozers seine Tat im
Voraus geplant hat, aber der Anschlag fand direkt vor den Augen der
Medien statt, gegenüber dem Gebäude, in dem sich alle Büros der
ausländischen Sender befinden. Die Jaffa-Straße und Jerusalem
insgesamt sind wieder zu den schrecklichen Tagen am Höhepunkt der
Intifada zwischen 2001 und 2003 zurückgekehrt. Der zweite schwere
Anschlag innerhalb von vier Monaten muss das Sicherheitsgefühl
erschüttern, das den Einwohnern mit großer Mühe zurückgegeben worden
war, insbesondere da er aus allen möglichen Winkeln dokumentiert
wurde. Auch wenn die Mehrzahl der Toten dieses Jahres Opfer
von „volkstümlichen Anschlägen“ in Jerusalem sowie von Raketen- und
Mörserangriffen aus dem Gaza-Streifen gewesen sind (zwei schwer zu
verhindernde Terrorarten), bleibt die Statistik besorgniserregend:
26 Tote in sechs Monaten. Die Zahl der Opfer ist viermal so hoch wie
im Vorjahr.
(Haaretz, 03.07.08) |
Bei den drei Israelis, die gestern bei dem Bulldozeranschlag auf
der Jerusalemer Jaffa-Straße ermordet wurden, handelt es sich um die
33jährige Batsheva Untermann, die 54jährige Elizabeth Goren-Friedman
und den 68jährigen Jean Relevy. Die Kindergärtnerin Batsheva Untermann wurde als Tochter von
Einwanderern aus Holland in Israel geboren und wohnte im Jerusalemer
Stadtteil Rehavia. Sie heiratete den in London geborenen Ido
Unterman, dessen Großvater der Oberrabbiner von Liverpool und Tel
Aviv gewesen war, bevor er zwischen 1964 und 1973 als Israels
ashkenasischer Oberrabbiner wirkte.
Das Paar unterzog sich jahrelangen Fruchtbarkeitsbehandlungen,
und vor sechs Monaten wurde dann ihr erstes und einziges Kind
geboren. Batsheva war mit ihrer Tochter Efrat auf dem Heimweg von
einem Arztbesuch, als Hussam Duwiyat mit seinem Bulldozer ihr Auto
zerquetschte.
Elizabeth (Lili) Goren-Friedman stammte ursprünglich aus
Österreich und wohnte im Jerusalemer Stadtteil Katamon. Die
geschiedene Mutter von drei Kindern war an einer Blindenschule
tätig, wo man sich an ihre unermüdliche Hilfsbereitschaft erinnert.
Lili Goren hinterlässt ihre drei Kinder Zvi (23), Issachar (19)
und Yael (16).
Jean Relevy aus dem Stadtteil Gilo wanderte nach dem Tod seiner
Mutter 1949 gemeinsam mit seinem Vater aus dem Iran nach Israel ein.
Zuvor hatte die Familie neun Jahre in Indien gelebt. Er wuchs in
Jerusalem auf, ging dann für einige Jahre zum Ingenieurstudium
nach England und arbeitete nach seiner Rückkehr als Installateur von
Klimaanlagen.
In einem Monat sollte er zum ersten Mal Großvater werden. Er
hinterlässt seine Frau Hanna, zwei Töchter und einen Sohn.
Wie Batsheva Unterman wurden auch Lili Goren-Friedman und Jean
Relevy in ihren Autos von Duwiyats Bulldozer erdrückt.
(Außenministerium des Staates Israel, 02.07.08) |
Die Israelis schneiden beim Drogenkonsum im globalen Vergleich
recht gut ab. So ist etwa der Prozentsatz derjenigen, die Cannabis
konsumieren, zwar höher als in Drittwelt-Staaten, allerdings
wesentlich geringer als in vielen anderen westlichen Ländern. Dies
geht aus einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hervor,
die das Online-Journal PLoS Medicine vorgestern veröffentlicht
hat. Insgesamt wurden 85 000 Menschen in 17 Ländern in allen fünf
Erdteilen befragt, darunter knapp 5000 Israelis.
Der Studie zufolge haben 11.5% der israelischen Bevölkerung
bereits mindestens einmal in ihrem Leben Gras geraucht, nur 1%
dagegen Kokain genommen. In den USA waren es ganze 42.4 bzw. 16.2%,
in Deutschland immerhin 17.5 bzw. 2%.
Erstaunlich ist vor allem der vergleichsweise geringe Konsum von
Alkohol und Tabak. Lediglich 58% der Israelis haben mindestens
einmal in ihrem Leben Alkohol getrunken, geraucht haben 48%. In den
USA waren es hingegen 91.6 bzw. 73.6%, in Deutschland sogar
95.3% bzw. 51.9%.
Was den Cannabiskonsum angeht, rangiert Israel unter den 17
Staaten auf Platz 6, beim Kokainkonsum auf Platz 11, beim
Alkoholkonsum auf Platz 14 und beim Tabakkonsum auf Platz 15.
(Haaretz, 03.07.08)
Die Studie findet sich unter dem folgenden Link: http://medicine.plosjournals.org/perlserv/?request=get-document&doi=10.1371/journal.pmed.0050141#journal-pmed-0050141-t002 |