Von Jonathan Rosen Israel hat im vergangenen Monat bekannt gegeben, dass es den
Wiedehopf zu seinem Nationalvogel erklärt hat. Der langschnabelige
Wiedehopf mit seinem schwarz-orangen Kamm wird in der Bibel nur
spärlich erwähnt (als unreines Tier, das nicht gegessen werden
sollte), spielt jedoch eine Rolle in der rabbinischen Literatur wie
auch in der islamischen Überlieferung. Unter anderem wird er als
Bote gefeiert, der zwischen König Salomon und der Königin von Saba
hin und her pendelt. Er ist mit anderen Worten gut geeignet für die
symbolische Last, die das Land ihm aufgebürdet hat.
Die Idee, dass Vögel als Boten in einer geschundenen Welt
fungieren können – wie die Taube und der Rabe, die von Noah
ausgesandt wurden -, hat Israels Entscheidung motiviert, als Teil
des Gedenkens an die Staatsgründung vor 60 Jahren einen
Nationalvogel anzunehmen. Auf Hebräisch lautet der Name des Vogels
‚duchifat’, auf arabisch ‚hud hud’. Und sein englischer Name
‚hoopoe’ klingt, wie Emily Dickinson bemerkt hat, nach ‚hope’
(Hoffnung).
Die Nachricht wurde im Amtssitz von Staatspräsident Shimon Peres
bekannt gegeben, der in den späten 40er Jahren seinen Namen von
Persky zu Peres änderte, nachdem er einen riesigen Bartgeier
(‚peres’) in der Luft schweben gesehen hatte. Der Legende nach war
es ein Bartgeier, der in Israel nicht mehr brütet, der den
griechischen Tragödiendichter Aischylos tötete, indem er ihm eine
Schildkröte auf den Kopf fallen ließ. Vögel können gefährlich sein,
und aus diesem Grund wählten die Vereinigten Staaten den
Weißkopfseeadler, obgleich Benjamin Franklin seiner Tochter schrieb,
dass der Adler ein feiger Rohling sei, der Truthahn dagegen ein
edler und energischer Vogel und daher ein geeigneteres nationales
Symbol für Amerika.
Zur Zeit Franklins wollte die junge Demokratie einen
kämpferischen Vogel. Im 21. Jahrhundert herrschen ändere Erwägungen
vor. Die Israelis, die den Nationalvogel gewählt haben - darunter
Kinder, Soldaten, Akademiker und Knesset-Abgeordnete -, lehnten die
Wahl eines Raubvogels (vor allem des vom Aussterben bedrohten
Gänsegeiers) ab, da sie nicht an einem kämpferischen Image
interessiert waren. Und auch die Eule wurde abgelehnt, da sie nach
arabischem Glauben Unglück bringt.
Ich habe den Wiedehopf zum ersten Mal im Jahr 2000 gesehen, als
die Osloer Verträge auseinander fielen. Schon als Kind hatte ich von
dem Vogel gehört und erfahren, dass König Salomon, der die Sprache
der Tiere verstand und so etwas wie ein jüdischer Dr. Doolittle war,
den Wiedehopf darum bat, beim Bau des Tempels behilflich zu sein.
Ich wusste nicht, dass der Vogel wirklich existiert, bis ich
Ornithologe wurde.
Aber da fand ich mich eines Tages in einem kleines
Vogelobservatorium in Jerusalem wieder, mit einem Soldaten, dessen
Aufgabe es war, Zugvögel zu fangen, zu wiegen und dann wieder frei
zu lassen. „Schmutzige Vögel“, sagte er, wobei er auf einen zeigte,
der zu einem Loch in der Wand strebte, und dann fügte er hinzu, dass
sie nach ihren Exkrementen stänken. Die Tatsache, dass dieser Vogel
dem König beim Bau des Tempels behilflich war, machte auf ihn
offensichtlich keinen großen Eindruck. Jedenfalls verzichtete auch
König Salomon nicht auf den Anblick eines erhabenen Vogels, der eine
Ahnung von Vergänglichkeit ausstrahlte. Es gehört zur Natur von
Vögeln, dass sie viele widersprüchliche Komponenten in sich
vereinen aufgrund ihres ständigen Pendelns zwischen Himmel und
Erde, Altem und Neuem, Wildem und Domestiziertem. Sie symbolisieren
am ehesten himmlische Aspirationen, und gleichzeitig sind sie von
den heute noch lebenden Lebewesen diejenigen, die den Dinosauriern
am nächsten stehen.
Die Wahl des Nationalvogels wurde von der Naturschutzgesellschaft
unter der Ägide des israelischen Ornithologen Yossi Leshem
durchgeführt, der das internationale Zentrum für Zugvögel in Latrun
gegründet hat, unweit dem Denkmal für die Soldaten, die in den
blutigen Kämpfen an diesem Ort im Unabhängigkeitskrieg gefallen
waren. Der hoffnungsvolle Slogan des Zentrums – gedruckt auf
Hebräisch, Englisch und Arabisch – lautet: „Zugvögel kennen keine
Grenzen.“ Im Gegensatz zu den Menschen auf dem Boden, für die
Grenzen alles sind.
Israel ist zur Überraschung vieler ein hervorragender Ort für die
Vogelbeobachtung (etwa eine halbe Milliarde Zugvögel passieren es
während der Wandersaison, aus Europa, Asien und Afrika). Der Prophet
Jeremia sagte: „Auch der Storch kennt seine Zeiten“. Und er kennt
sie noch immer. Jedes Jahr ziehen 85% aller Weißstörche weltweit an
Israel vorbei, ungeachtet der Stürme, die unten auf dem Land immer
wieder ausbrechen.
Der Wiedehopf ist der Held des Werks „Die Vogelkonferenz“ des
persischen Dichters Farid al-Din Attar, einer mittelalterlichen
Allegorie, in der eine Gruppe von Vögeln versucht, den Vogelkönig zu
wählen. Der Wiedehopf ist ihr Anführer, der dank seiner Begabung
alle Vögel davon überzeugt, an der Wahl teilzunehmen. Am Ende findet
sich der Vogelkönig – es ist Gott. Die Vögel, die in der Anwesenheit
des Königs weilten, wurden mit großer innerer Erleuchtung erfüllt,
allerdings verloren sie ihr Leben, sobald sie Teil des göttlichen
Lichts wurden. Dies ist ein gutes Ende für einen Gläubigen, und ein
erschreckendes für jemanden, der nicht gläubig ist.
Attar, ein Sufi, glaubte, dass alle Religionen zu Gott führen. Es
ist dies Teil der endlosen Ironie der Geschichte, dass der Ort, an
dem Attar lebte (und von dem er als Ketzer vertrieben wurde), heute
damit droht, andere Völker auszulöschen, insbesondere den jüdischen
Staat. Es ist die Frage, ob König Salomon mit seiner Weisheit und
sein neuer Luftbote eine Lösung für diese Bedrohung werden finden
können. Dies wird eine der großen Herausforderungen der nahen
Zukunft sein.
Jonathan Rosen ist der Autor von „The Life of the Skies:
Birding at the End of Nature“.
(Haaretz, 13.06.08)
|
Heute vor genau 75 Jahren wurde der zionistische Politiker Chaim
Arlosoroff am Strand von Tel Aviv erschossen. Der rätselhafte Mord
hat die israelische Öffentlichkeit über Jahrzehnte beschäftigt.
Arlosoroff wurde 1899 im ukrainischen Romny geboren. Nach dem
Pogrom von 1905 zog er mit seinen Eltern nach Deutschland, wo er
auch das Gymnasium besuchte. Daneben erhielt er eine hebräische und
zionistische Erziehung. Von früh an war er dem Land Israel
zugetan.
Nach dem ersten Weltkrieg begann er als Student für den
sozialistischen Zionismus tätig zu werden. 1918 gehörte er zu den
Mitbegründern der Partei Hapo’el Hatza’ir. 1921 besuchte er erstmals
Israel, drei Jahre darauf wanderte er nach seiner Promotion in
Berlin mit seiner Familie ins Land ein.
Von Anfang an gehörte er zu den Führungsfiguren der
Arbeiterpartei (MAPAI), im Alter von gerade einmal 30 Jahren wurde
er Außenminister der zionistischen Führung im Land Israel, wobei er
sich sowohl als Ideologe als auch Diplomat hervortat.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland
befasste er sich im Rahmen des Ha’avara-Abkommens mit der Sicherung
des Eigentums jüdischer Emigranten, wodurch er sich den Zorn
revisionistischer Zionisten zuzog.
Als Arlosoroff am 16. Juni 1933 beim Abendspaziergang mit seiner
Frau ermordet wurde, fiel daher der Verdacht auf seine politischen
Gegner. Die britische Polizei verhaftete die beiden radikalen
Revisionisten Avraham Stavsky und Zvi Rosenblatt, die jedoch
aufgrund eines Alibis bzw. fehlender Beweise nicht verurteilt werden
konnten.
Im Jahr 1982 rief die damalige Regierung unter Menachem Begin
einen Untersuchungsausschuss ins Leben, der Stavsky und Rosenblatt
für unschuldig erklärte. Der Verdacht gegen sie war jedoch nicht
ohne Grundlage, und die Diskussion um den Mord an Arlosoroff ist bis
heute nicht beendet.
(Yedioth Ahronot, 16.06.08) |