Von Avriel Bar Yosef Der verbreiteten Auffassung nach wird jede politische Führung, wo
immer sie auch sein mag, alles in ihrer Macht stehende dafür tun,
ihr Regime abzusichern. Dies hat meist mit der Schwierigkeit zu tun,
für ein hohes Amt gewählt zu werden. In undemokratischen
Gesellschaften verschärft sich diese Annahme noch: Wenn ein
politischer Führer weder dem Recht, noch der öffentlichen Kritik
ausgesetzt ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er die
Stabilität der Herrschaft gegenüber jeglichen Schritten, die seine
Führung ins Wanken bringen würden, bevorzugt.
Es stellt sich die Frage, ob es eine Basis für die Annahme gibt,
dass unsere Nachbarn, die gelegentlich Bedrohungen gegen den Staat
Israel ausstoßen, keinen Schritt riskieren würden, der zu einer
zerstörerischen Antwort führen könnte, die das Ende ihrer Herrschaft
und ihren physischen Untergang bedeuten würde. Die Prüfung
einiger der herausragenden Entwicklungen des letzten Jahrzehnts im
Nahen Osten bietet uns eine aufschlussreiche Lektion zur Art und
Weise, wie autoritäre Führer der Gegenwart zu ihren Entscheidungen
gelangen.
Am Vorabend des Irakkriegs hatte Saddam Hussein zwei Optionen zur
Hand: Entschiedener Widerstand gegen die Forderungen des Westens
nach Einlass der UN-Inspektoren, im Bewusstsein, dass dies sein
Regime mit großer Wahrscheinlichkeit auf Kollisionskurs mit den USA
und ihren Verbündeten bringen werde, oder alternativ dazu eine
Kooperation, die den UN-Vertretern Inspektionen zur Lokalisierung
von Massenvernichtungswaffen ermöglichen würde. Durch die Wahl der
zweiten Option hätte der irakische Diktator viele Punkte innerhalb
der lokalen und internationalen Öffentlichkeit erzielen können.
Bekanntlich sind bis heute im Irak seit dem Golfkrieg keine
Zeichen und substantiellen Beweise für Massenvernichtungswaffen
gefunden worden. Saddam wählte die erste Alternative, also die
Option, die das Fortbestehen seines Regimes in hohem Maße
gefährdete. Der Wille Saddam Husseins, zu opponieren statt den
Forderungen des Westens nachzugeben, haben den Ausschlag
gegeben, und dies zum Preis des politischen und persönlichen
Selbstmords.
Ende 2000 stand Yasser Arafat nach dem Scheitern der
Friedensverhandlungen in Camp David und Taba vor zwei
grundsätzlichen Alternativen: Fortsetzung des Dialogs mit Israel,
obwohl die Gespräche in eine Sackgasse gelangt waren, einhergehend
mit einem niedrigen Gewaltniveau, oder alternativ dazu der Schritt
zur weit ausgreifenden Gewalt gegen Israel.
Die erste Alternative trug viele Vorteile in sich: die Bewahrung
des Lebensstandards und des relativen Wohlstands und die Erlaubnis
für militante Elemente in der palästinensischen Gesellschaft,
mittels Gewalt „etwas Druck abzulassen“. Die zweite Alternative
stellte andererseits nicht nur die palästinensischen
Errungenschaften, sondern die gesamte Existenz der Palästinensischen
Autonomiebehörde unter ein großes Risiko. Arafat entschied sich für
die (für ihn selbst) gefährlichere Alternative, die letztlich zum
Kollaps der Palästinensischen Autonomiebehörde wie auch seiner
persönlichen Isolation und seinem Niedergang führte.
Die Prüfung des Verhaltens des Taliban-Regimes nach den
Anschlägen vom 11. September ergibt ein ähnliches Bild der
irrationalen Entscheidungsfindung und Bevorzugung einer Alternative,
die den politischen Selbstmord bedeutet (die Einnahme einer starren
Haltung gegenüber den Forderungen der internationalen Gemeinschaft).
In früheren Zeiten war es möglich, solch „falschen“ oder
„irrationalen“ Entscheidungen Gründen zuzuschreiben, die nicht
länger relevant sind, wie etwa dem Mangel an Verstehen des Gegners,
der Naivität oder der Dummheit. Das Informationszeitalter hat dies
alles jedoch geändert, indem es die Probleme von Informationsmangel
und Nichtkenntnis des Gegners ausgeräumt hat.
Wir haben gelernt, dass die Option des Selbstmords selbst in
Ländern, in denen Regimeerhalt alles bedeutet, existiert und nicht
ignoriert werden darf. Durch diese Linse muss man auch den Iran der
vergangenen Jahre betrachten. Es war natürlich, dass er danach
strebte, die bequemsten diplomatischen Bedingungen zu schaffen für
die Fortentwicklung seines „Babys“, dem
Massenvernichtungswaffenprojekt. Und dennoch handelt der Iran oft in
einer Weise, die seine eigenen Interessen zu untergraben scheint, so
wenn er immer wieder zur Vernichtung des „zionistischen Regimes“
usw. aufruft, wodurch er die ganze Welt gegen sich aufbringt.
Es ist in der Tat möglich, dass die Führer des Iran aufgrund
fanatischer Hingabe an eine radikale politisch-religiöse Ideologie
bereit sind, den globalen Konflikt um ihre Nuklearaktivitäten selbst
zum Preis eines schweren oder tödlichen Schlages gegen ihr Land und
ihr Regime zu führen.
Brigadegeneral d. Res. Avriel Bar Yosef ist Direktor des
Außen- und Sicherheitspolitischen Ausschusses der Knesset.
(Yedioth Ahronot, 28.05.08) |