Von Doron Rosenblum Seit wann sind die Frühlingstage vor dem Unabhängigkeitstag zu
Schreckenstagen des Israelitums geworden? Zu Tagen pessimistischer
Selbstbeschau, der Verbreitung von Bitterkeit und der Freisetzung
all unserer Ängste und Komplexe? Im Vorfeld dieses Tages krempelt
nach dieser neuen Tradition jeder die Ärmel hoch für eine
feierlich-hinwegfegende Selbstgeißelung; die Älteren stehen
dafür Schlange, uns zu erzählen, wie enttäuscht sie vom Staat sind
und wie sehr dies nicht der Staat ist, den man sich erhofft hatte
(ohne – jenseits der Klischees - zu erklären, was diesen erhofften
Staat ausmachen sollte, und warum sie selbst nicht viel für seine
Förderung getan haben); Meinungsumfragen prasseln auf die
Öffentlichkeit, vor allem die Jugend, nieder, mit so inspirierenden
Fragen wie: Erwartet ihr die Zerstörung des Staates, und wenn, wann;
zu welchem Zeitpunkt werdet ihr aus dem Land flüchten, und wann wird
der Holocaust sich wieder ereignen?
Kein Zweifel, dies ist eine einzigartige, womöglich sehr
jüdische, Art und Weise, einen Unabhängigkeitstag zu gehen.
Offensichtlich sind dies auch die ersten Früchte des Siegs des
Katastrophendiskurses und der Opfermentalität – in der Erziehung,
bei den Fahrten nach Auschwitz, in der öffentlichen Sphäre und
selbst (und vorwiegend) in der Armee.
Wenn dank unserer großen Furcht vor dem stets drohenden
Unbekannten die organisierten Festivitäten verkümmert sind und einer
Nostalgie der sicheren Vergangenheit Raum gemacht haben, ist es kein
Wunder, dass jeder Unabhängigkeitstag von einem stagnierenden Gefühl
des Unbehagens überschattet wird.
Im Kontext des Sieges des Katastrophendiskurses (einige werden
sich auf die Erfahrung berufen) über die Hoffnung gibt es politische
und andere Gruppen, die darin eine Niederlage des „Israelitums“ an
sich erkennen: des Israelitums, das durch Einfallsreichtum und
praktisches Denken charakterisiert ist, durch sich ansammelnde
Kreativität; des Israelitums, das zugunsten des Sieges eines
transzendentalen, messianischen ‚Judentums’ seinen einzigen
Grundpfeiler und seine vorrangige Hoffung verloren hat: die Hoffnung
auf Frieden.
Aber ist dies wirklich so?
Auch in der moralischen Verlegenheit, in der sich die Regierung
und das politische System heute befinden, kann man nicht den
anhaltenden Trend einer ‚Israelisierung’ ignorieren, der in den
letzten Jahren langsam und behutsam, ohne Pauken und Trompeten, sein
Haupt gegenüber den Unterdrückern und Feinden von innen zu heben
begonnen hat. Vergeblich werden die verschiedenen ‚orangenen’
Widersacher auf seinem Grab tanzen: Das Israelitum ist gesund und
munter wie nie zuvor, und dies spiegelt sich in der Kultur, dem
Lebensstil, der Kreativität, der Sprache, den Veränderungen des
Status Quo und vor allem in dem allgemeinen Verlangen nach
Normalität. Einem Verlangen, in dessen Rahmen – allen Anzeichen und
Umfragen zufolge – der Verzicht auf den Traum von Großisrael die
trivialste und selbstverständlichste Tatsache ist.
All dies vollzieht sich ohne jede Beziehung zu den Windungen
dieses oder jenes Friedensprozesses, auf dessen Kollaps sowie auf
den der ihn tragenden Politiker die Feinde des Israelitums warten;
und auch ohne Beziehung zu der wechselnden Identität des
Ministerpräsidenten. Denn es hat sich erwiesen, dass es keinen
israelischen Politiker gibt – weder auf Linken noch auf der Rechten
-, der die diplomatischen Zwänge und die Sehnsucht nach
Normalisierung und Hoffnung von innen überwinden könnte
Die Hoffnung ist es, die seit eh und je den Staat Israel
antreibt, selbst wenn sie sich mitunter als enttäuschend trügerisch
erweist. Dies meinte wohl der, der sagte, dass in Israel der, der
nicht an Wunder glaubt, unrealistisch sei, und dabei auf Wunder von
Menschenhand abzielte. Denn die Hoffnung selbst schafft die positive
Energie, die zu ihrer Verwirklichung führt. Dies ist eine Art
nationales ‚Geheimnis’, das in den letzten Jahren nur wenigen
bekannt war, die auch – nicht zufällig – die erfolgreichsten
Israelis gewesen sind.
Eine der häufigsten Eröffnungszeilen im israelischen Diskurs
sowohl auf privater als auch nationaler Ebene ist seit eh und je
„Schade, dass …“. Schade, dass meine Eltern nicht dieses Grundstück
gekauft haben, das sich einst in einem entlegenen Dornenfeld
befunden hat; schade, dass wir nicht in die esoterische Fabrik für
Metallgravuren investiert haben; schade, dass wir den Vorteil des
diplomatischen Fensters der Möglichkeiten nicht genutzt haben, z. B.
beim Londoner Abkommen… Mit anderen Worten: Schade, dass wir so
pessimistisch und ohne Zuversicht waren; schade, dass wir in
belanglose Kalkulationen der Zukunft investiert haben, in zahllose
herannahende Probleme, und uns selbst eingeschüchtert haben, als
Menschen mit Vision sich den Gelegenheiten geöffnet, in Optimismus
investiert und eine Pflock in die Zukunft gerammt haben.
Wenn Politiker, Unternehmer und Privatleute sich vorwärts bewegt
haben und gewachsen sind, dann weil sie das Geheimnis kannten: In
Israel hat sich Optimismus auf lange Sicht fast immer ausgezahlt.
Jedenfalls bis jetzt. Und selbst wenn nicht – zumindest für eine
Zeit haben wir ein wenig mehr von der Freude an der Tatsache unserer
puren Existenz und dem Wunder unseres Überlebens erhalten, die das
Wesentliche der Freude über die Unabhängigkeit ausmacht.
(Haaretz, 07.05.08) |