Von Yuval Steinitz Die aktualisierte US-Geheimdiensteinschätzung (NIE), der zufolge
die Iraner ihre Entscheidung für die Entwicklung der Atombombe
fallengelassen haben, ähnelt dem Ausweichen Rotkäppchens vor dem
Wolf, der sich im Bett der Großmutter verbirgt und dessen Augen und
Ohren unter der Decke hervorlugen.
Die Wiederaufnahme der Diskussion um ihre Gültigkeit aufgrund der
neuen Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) lassen
auf eine Eindämmung des Schadens hoffen. Dieser Artikel möchte die
logischen und psychologischen Mängel aufdecken, die dem zugrunde
liegen, was als eine der am wenigsten überzeugenden
Geheimdiensteinschätzungen der Geschichte erscheint.
1. Der Pendel-Effekt: Der Hauptunterschied zwischen der neuen
Geheimdiensteinschätzung zu ihren Vorgängern liegt nicht in den
Details, sondern in der vorsichtigen Logik, der sie beim Ziehen der
Schlussfolgerungen folgt. Die neue Einschätzung versucht nicht zu
leugnen, dass im Falle des Irans das meiste des Wolfs klar
ersichtlich ist: die Fabriken zur Umwandlung und Anreicherung von
Uran in Isfahan und Kashan; der Schwerwasserreaktor in Arak; die
Shihab-, Ashura- und BM-25-Raketen. Und dennoch zaudert sie beim
Zusammenfügen der Puzzleteile zu einem Ganzen: Nichts kann mit
Sicherheit garantieren, dass die deutlich erkennbaren Teile des
Wolfs einen ganzen und vollständigen Wolf repräsentieren. Können wir
mit Gewissheit bestimmen, dass am Ende des Projekts eine Bombe
lauert?
Der Grundsatz, dem die Autoren den neuen Berichts zu folgen
scheinen ist „Gebranntes Kind scheut das Feuer“. Nach dem
Geheimdienstfiasko in der Angelegenheit der Chemiewaffen im Irak -
an dem alle westlichen Geheimdienste einschließlich der Israelis
ihren Anteil haben – hat man beschlossen, fortan höchste Vorsicht
walten zu lassen. Während die Geheimdienste im Falle des Irak auf
Grundlage letztlich irreleitender Informationsfetzen „Wolf, Wolf“
geschrieen haben, muss der Wolf diesmal zubeißen, bevor er als
solcher anerkannt wird. Anders ausgedrückt: Die Geheimdienstexperten
haben Standards mathematischer Gewissheit angelegt, die
prognostischen Wissenschaften – als deren entfernten Verwandten man
den Geheimdienst betrachten kann – nicht angemessen sind.
Was die Schlussfolgerung des Berichts noch um Einiges
merkwürdiger macht, ist, dass das Treffen mit Teilen des Biestes
nicht das erste Treffen ist – ähnlich wie in der Geschichte von
Rotkäppchen. Rotkäppchen hat den Wolf bereits im Wald gesehen, und
dennoch machte es sich vor, dass unter der Decke die Großmutter
liege. Der Psychologe Bruno Bettelheim hat in seinem Buch „Kinder
brauchen Märchen“ erklärt, dass Rotkäppchen es vorgezogen hat, die
Gefahr zu verdrängen und bei den Verstellungen des Wolfes
mitzuspielen, da es nicht wusste, wie sie mit der auflauernden
Bedrohung umgehen sollte. Auch der amerikanische Geheimdienst hat
den iranischen Wolf bereits vor 2003 gesehen. Der gegenwärtige
Bericht wiederholt die entschiedene Feststellung, dass das iranische
Projekt bis dahin als militärisches Projekt zur Entwicklung einer
Bombe betrieben wurde. Was laut dem Bericht offensichtlich
passiert ist, ist, dass die iranischen Anstrengungen bei der
Entwicklung der Bombenmechanik von den Radarbildschirmen des
amerikanischen Geheimdienstes verschwunden sind (anders als die
Beschäftigung mit spaltbarem Material, die im Zentrum des iranischen
Projektes steht). Und da man nicht mehr alle Teile des Projekts
sieht, ist nach den neuen Standards auch die Möglichkeit
geschwunden, die Präsenz des Wolfes in der Umgebung zu
bestimmen.
Der Umgang des US-Geheimdienstes mit dieser Angelegenheit stellt
ein aufschlussreiches Beispiel für das dar, was ich als
„Pendel-Effekt“ bezeichne – er lässt die Geheimdiensteinschätzung
sich vom Pol der „Überschätzung“ hin zu dem der
„Unterschätzung“ bewegen. Ein Fehler bei der Überschätzung, wie es
im Irak der Fall war, zieht Kritik auf sich und eine Unterschätzung
beim nächsten Fall, und umgekehrt.
2. Absurde Implikationen: Ein psychologisches Trauma und eine
unpassende Logik können zu absurden Schlussfolgerungen führen. Die
Absurdität des neuen Berichts zeigt sich insbesondere an der Logik
der Ressourceninvestition, die den Entscheidungsträgern in Teheran
zugeschrieben wird. Der Bericht erzählt uns im Wesentlichen, dass
die Iraner 2003 zwei widersprüchliche Entscheidungen gefällt haben:
sowohl auf die Bombe zu verzichten, als auch damit fortzufahren,
Milliarden in Fabriken zu investieren, die für ihre Herstellung
bestimmt sind! Sollte man von den Autoren nicht eine Erklärung bspw.
dafür verlangen, dass die enormen Investitionen in die unterirdische
Zentrifugenanlage in Kashan fortgesetzt werden? Ist ihnen etwa zu
Ohren gekommen, dass die Iraner eine Methode zur Verbesserung von
Pistazien in den Zentrifugen entwickeln?
Ähnliche Fragen muss man in Hinsicht auf die Raketen stellen.
Unter Fachleuten herrscht Übereinstimmung, dass man keine
ballistischen Raketen mir Reichweiten von mehr als 1000 Kilometern
entwickelt, wenn nicht für nicht-konventionelle Sprengköpfe.
Schließlich sind die Kosten ihrer Entwicklung und Herstellung enorm
hoch. Die Reichweite der Raketen, die die Iraner seit 2003
entwickelt haben, betragen schon mehrere Tausend Kilometer und
umfassen den Nahen Osten und den Großteil Europas; und kürzlich
gaben sie die Entwicklung eines „Satellitenträgers“ bekannt, d.h.
einer Interkontinental-Rakete, die für den amerikanischen Kontinent
bestimmt ist. Wenn das Programm zur Aufrüstung mit atomaren
Sprengköpfen eingestellt worden ist – warum dauern dieses
Investitionen in Raketen dann an?
Der frühere Geheimdienstfehler – die Überschätzung der chemischen
Waffen im Irak – führte zu einem blutigen Krieg im Irak. Der
gegenwärtige Geheimdienstfehler – die Unterschätzung des iranischen
Atomprogramms – schadet dem Kampf zur Rettung der Welt vor einem
Zustand, in dem ein fundamentalistisches Regime eine Atombombe in
den Händen hält.
Geheimdienstliche Fehleinschätzungen sind unvermeidlich. Was den
neuen Bericht der NIA so besorgniserregend macht, ist, dass es sich
nicht lediglich um einen Irrtum handelt, sondern um die
unvernünftige Verdrängung einer Gefahr – ganz so wie im Märchen von
Rotkäppchen.
Yuval Steinitz ist Mitglied des Außen- und
Sicherheitspolitischen Ausschusses der Knesset und leitet gemeinsam
mit Senator Jon Kyl (Arizona) den Gemeinsamen Sicherheitsdialog
zwischen dem US-Kongress und der Knesset.
(Haaretz, 23.04.08)
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In Israel ist erstmals erfolgreich eine Darmtransplantation
durchgeführt worden. Ärzte am Kinderkrankenhaus Schneider in Petah
Tikwa haben der 16jährigen Liraz eine volle Darmstruktur
eingepflanzt. Das Mädchen musste seit 12 Jahren mit einer
künstlichen Magensonde und immer wieder im Krankenhaus leben. Nun
hat sie einen neuen Magen, einen neuen Dünndarm, einen neuen
Dickdarm, eine neue Leber und eine neue Bauchspeicheldrüse
bekommen. Die Organe wurden dem Körper des 12jährigen Omri Gilor aus Kadima
entnommen, der am vergangenen Donnerstag beim Spielen von
einem Sandhaufen erdrückt worden war und am Samstag seinen
Verletzungen erlag. Seine Eltern gaben an, er habe unlängst seiner
Mutter gegenüber den Wunsch bekundet, im Falle seines Todes seine
Organe zu spenden.
Die 14stündige Operation wurde von dem renommierten Spezialisten
Prof. Andreas Tzakis durchgeführt, der in Florida lebt, aber
zufällig seine griechische Heimat besuchte, als ihn der Hilferuf
seines Freundes Prof. Eitan Mor, Direktor der
Transplantationsabteilung am Beilinson-Krankenhaus in Petah Tikva,
ereilte.
(Haaretz, 22.04.08) |