Von Ephraim Sneh Seit 15 Jahren habe ich im Rahmen meiner diversen Regierungs- und
Parlamentsämter für den Staat Israel das iranische Atomprogramm
intensiv verfolgt. Ich tue dies, da ich in ihm eine Bedrohung für
die internationale Gemeinschaft und die Existenz meines Landes
sehe.
Die Schlagzeilen zur jüngsten US-Geheimdiensteinschätzung (NIE)
zum Iran – „Iran hat sein Atomwaffenprogramm 2003 gestoppt“ – haben
mich ehrlich gesagt verblüfft. Nach sorgfältiger Lektüre der
veröffentlichten Abschnitte der NIE richte ich drei Fragen an die
Autoren, die ich nicht kenne, aber respektiere.
Sie haben geschrieben: „Der Iran hat seine offen erklärten
Urananreicherungsaktivitäten im Januar 2006 wieder aufgenommen,
trotz des andauernden Stopps des Atomwaffenprogramms. Der Iran hat
2007 einen bedeutsamen Fortschritt durch das Installieren von
Zentrifugen in Natanz erzielt…“ Und: „Iranische Instanzen entwickeln
weiterhin eine Reihe technischer Fähigkeiten, die zur Herstellung
einer Atombombe dienen können, falls eine solche Entscheidung
gefällt werden sollte.“
Wenn die Urananreicherung und die Entwicklung derartiger
Technologien fortdauert, was genau wurde dann im Herbst 2003
gestoppt? Für eine Atombombe benötigt man normalerweise zwei
Zutaten: spaltbares material und eine spezielle Zündvorrichtung. Die
Produktion von spaltbarem Material erfordert große, leicht zu
entdeckende Industrieanlagen wie die in Natanz. Für die Entwicklung
und Produktion der Waffenvorrichtung jedoch reicht eine kleine
Anlage, deren Größe und Konturen denen eines unschuldigen Labors
ähneln. Dies nennt man den „Waffenverbund“. Nur der völlige Abbau
des „Waffenverbunds“ kann als „Stopp des Atomwaffenprogramms“
betrachtet werden. Können Sie zuverlässig sagen, dass solch ein
Labor nirgendwo mehr im Iran existiert? Ist Ihre Erfassung des Iran
so total und zudringlich, um solch einen Schluss zu
rechtfertigen?
Der Bericht teilt mit: „Wir stellen mit großer Gewissheit fest,
dass der Iran die wissenschaftliche, technische und industrielle
Fähigkeit besitzt, eines Tages Atomwaffen herzustellen, wenn er sich
dazu entscheidet.“ Aber Sie schreiben auch: „Wir wissen nicht, ob
der Iran gegenwärtig beabsichtigt, Atomwaffen zu entwickeln.“ Und:
„Wir verfügen nicht über genügend Informationen, um zuverlässig
beurteilen zu können, ob Teheran willens ist, den Stopp weiter
aufrecht zu erhalten.“
Wenn Sie nicht über ausreichende Kenntnis hinsichtlich der
Absichten des Regimes verfügen – und dies ist verständlich -, wie
können Sie dann wissen, dass eine solche Entscheidung nicht gefällt
oder umgesetzt worden ist?
Sie haben geschrieben: „Eine wachsende Anzahl von
Geheimdienstinformationen weist darauf hin, dass der Iran verdeckte
Urananreicherungsaktivitäten betrieben hat, doch wir schätzen, dass
die Bemühungen in Reaktion auf den Stopp vom Herbst 2003 eingestellt
und wahrscheinlich bis zumindest Mitte 2007 nicht wieder aufgenommen
worden sind.“
Sie sagen „wahrscheinlich“. Aber Ihre Einschätzung, dass Teheran
sein Atomwaffenprogramm nicht wieder aufgenommen habe, kann nur auf
der Annahme gründen, dass nirgendwo im Iran ein aktives Atomprogramm
existiert. Sind Sie sicher?
Gemäß der Geheimdiensteinschätzung (NIE) würde der Iran
„irgendwann innerhalb des Zeitrahmens von 2010-2015“ genug Uran für
eine Bombe angereichert haben. Die ballistischen Raketen, die solch
eine Waffe nach Israel, - und auch in den Golf und europäische
Länder - schicken kann, sind bereits in Betrieb.
Wir können nicht auf Antworten auf meine Fragen warten. Die
Geheimdiensteinschätzung (NIE), zu der es berechtigte Fragen gibt,
ist dazu in der Lage, die Wahrscheinlichkeit zusätzlicher und
schärferer Sanktionen gegen den Iran zu verringern. Wir wären dann
auf uns selbst angewiesen.
Ephraim Sneh, Brigadegeneral a.D. der Israelischen
Verteidigungsstreitkräfte (ZAHAL), war stellvertretender
Verteidigungsminister und ist Mitglied des Unterausschusses für
Geheimdienstfragen der Knesset.
(The Boston Globe, 11.12.07) |