Heute vor genau 60 Jahren, am 29. November 1947, verabschiedete
die UNO den Teilungsplan für das damalige britische Mandatsgebiet
‚Palästina’ in einen jüdischen und einen arabischen Staat.
Im Saal der Vollversammlung im New Yorker Übergangsquartier der
UNO Flushing Meadows waren 56 der damals 57 Mitgliedsstaaten der
Weltorganisation anwesend (es fehlte der Vertreter Thailands). Gemäß
der in wichtigen Abstimmungsfragen erforderlichen
Zweidrittelmehrheit waren 38 Stimmen zur Verabschiedung nötig. Da
jedoch nach der gängigen Praxis Enthaltungen nicht mit gerechnet
wurden und sich 10 Staaten ihrer Stimme enthielten, lag die
Zweidrittelmehrheit in diesem Fall bei 31 Staaten.
Letztendlich stimmten 33 Staaten für die Teilung des
Mandatsgebiets in einen jüdischen und eine arabischen Staat:
Australien, Belgien, Bolivien, Brasilien, Weißrussland, Kanada,
Costa Rica, Tschechoslowakei, Dänemark, Dominikanische Republik,
Ecuador, Frankreich, Guatemala, Haiti, Island, Liberia, Luxemburg,
Niederlande, Neuseeland, Nicaragua, Norwegen, Panama, Paraguay,
Peru, Philippinen, Polen, Schweden, Ukraine, Südafrika, Sowjetunion,
USA, Uruguay und Venezuela.
13 Staaten stimmten dagegen: Afghanistan, Kuba, Ägypten,
Griechenland, Indien, Iran, Irak, Libanon, Pakistan, Saudi-Arabien,
Syrien, Türkei und Jemen.
Die zehn Enthaltungen kamen aus Argentinien, Chile, China,
Kolumbien, El-Salvador, Äthiopien, Honduras, Mexiko, Großbritannien
und Jugoslawien. |
Von Uri Avnery Wegen des Lärms erwachte ich aus tiefem Schlaf. Draußen war ein
Aufruhr im Entstehen, der von Moment zu Moment anschwoll, aufgeregte
Stimmen von vielen Menschen. Es klang wie ein seltener Ausbruch von
Freude. Ich streckte die Nasenspitze durch die Tür meines
Hotels in Haifa. Begeisterte Menschen teilten mir mit, dass die
UN-Vollversammlung soeben die Teilung des Landes beschlossen
hatte.
Ich kehrte in mein Zimmer zurück und schloss die Tür. Mir war
nicht danach zumute, mich am Jubel zu beteiligen. Es war dies der
29. November 1947, der Tag, der unser Leben für immer veränderte.
Warum überkam mich gerade in diesem historischen Moment ein Gefühl
von Einsamkeit, Entfremdung und vor allem Trauer? Trauer, da ich das
ganze Land liebe – Nablus und Hebron nicht weniger als Tel Aviv und
Rosh Pina. Trauer, da ich wusste, dass Blut vergossen werden würde,
viel Blut. Doch der primäre Grund hing mit meiner politischen
Einstellung zusammen.
Ich war 24. Zwei Jahre zuvor hatte ich mit einigen Freunden einen
politisch-intellektuellen Zirkel gegründet, der Stürme der
Entrüstung innerhalb der hebräischen Gemeinschaft hervorrief. Unsere
Ideen, die große Resonanz erhielten, galten als schwere Ketzerei.
Der Kreis „Junges Land Israel“, der von Zeit zu Zeit ein Pamphlet
namens „Im Kampf“ (bekannter unter der Bezeichnung „Gruppe im
Kampf“) veröffentlichte, hing einer revolutionären Lehre an, deren
Grundsätze sich folgendermaßen gestalteten:
- Wir, die junge Generation, die im Land aufgewachsen ist,
stellen eine neue Nation dar. - Gemäß unserer Sprache und
unserer Kultur sollte man uns als hebräische Nation
bezeichnen. - Der Zionismus hat diese Nation hervorgebracht
und damit seine historische Aufgabe erfüllt. - Von hier ab
existiert der Zionismus nicht mehr. Er stört die freie Entwicklung
einer neuen Nation, und man muss ihn auflösen, so wie man die
Gerüste nach dem Hausbau entfernt. - Die neue hebräische
Nation ist zwar Teil des jüdischen Volkes – so wie bspw. die neue
australische Nation Teil des angelsächsischen Volkes ist -, doch
besetzt sie eine getrennte Identität, eigene Interessen und eine
neue Kultur. - Die hebräische Nation gehört zum Land, und
sie ist natürlicher Partner der arabischen Nation, die ebenso zum
Land gehört. Beide Nationalbewegungen sind eng mit dem Land
verbunden, und sie müssen sich mit der Geschichte des Landes aller
Epochen identifizieren, von der antiken semitischen Kultur bis in
unsere Tage. - Die neue hebräische Nation gehört weder zu
Europa noch zum ‚Westen’, sondern zum erwachenden Asien und zum
„semitischen Raum“ - eine Bezeichnung, die wir damals
erfanden, um uns von der europäisch-kolonialistischen Bezeichnung
‚Naher Osten“ abzugrenzen. - Die neue hebräische Nation
muss sich als voller und gleichberechtigter Partner in den Raum
integrieren. Gemeinsam mit allen Nationen des semitischen Raums
strebt sie danach, sich vom kolonialen Imperialismus zu
befreien.
Diese Weltanschauung macht uns notwendigerweise zu absoluten
Gegnern des Teilungsplans. Vor der Entscheidung der UNO, im
September 1947, veröffentlichte ich ein Pamphlet mit dem Titel
„Krieg oder Frieden im semitischen Raum“, in dem ich einen Gegenplan
präsentierte: Die hebräische und die arabisch-palästinensische
Nationalbewegung sollten sich zu einer einzigen Nationalbewegung
vereinen und im ganzen Land einen gemeinsamen Staat gründen, der auf
Liebe zum Land – Patriotismus im wahrsten Sinne – gegründet sein
sollte.
Diese Idee war weit entfernt von dem Plan eines „binationalen“
Staates, der in jener Zeit Anhänger hatte wie die
Magnes-Buber-Gruppe und die Bewegung Hashomer Hatza’ir. Nie habe ich
daran geglaubt. Zwei Nationen, die jede für sich einer eigenen
nationalen Vision anhängen, können nicht gemeinsam in einem Staat
leben. Unsere Vision basierte auf der Konstruktion einer neuen
gemeinsamen Nation, die eine hebräische und eine arabische
Komponente besitzen würde.
Das Wesentliche des Pamphlets übersetzten wir eilig ins Englische
und Arabische, und ich ging persönlich nach Yafo, um es unter den
arabischen Zeitungsredaktionen zu verteilen. Yafo war schon nicht
mehr so, wie ich es in jungen Jahren gekannt hatte, als ich (als
Gehilfe einer Anwaltskanzlei) in den dortigen Verwaltungsbehörden
tätig war. Ich spürte eine düstere, bedrückende Atmosphäre.
Im Vorfeld der UN-Resolution beschlossen wir, eine Sonderausgabe
von „Im Kampf“ herauszubringen, die gegen die Teilung gerichtet sein
sollte. Das Titelbild sollte ein Student vom Technion malen, daher
war ich in diesem schicksalhaften Moment in einem kleinen Hotel in
Hadar Hakarmel. Ich konnte nicht mehr einschlafen. Ich stand auf und
schrieb in der Erregtheit des Augenblicks ein Gedicht, das zwei Tage
später in der besagten Zeitschrift erschien. Die erste Strophe ging
so:
„Ich habe Dir geschworen, Heimat/ am Tag Deines bitteren
Niedergangs - / groß und vereinigt/ wirst Du aus der Asche
erstehen./ Im Herzen Deiner Söhne brennt/ die schlimme Wunde,/ bis
Deine Fahnen wehen/ vom Meer bis zur Wüste“. Einer unserer Freunde
schrieb Musik zu dem Gedicht, und wir sangen es in den kommenden
Tagen, an welchen wir Abschied nahmen von unseren Träumen.
In dem Moment, da die UN-Resolution verabschiedet wurde, wurde
mir klar, dass sich unsere Welt so ändern würde wie nie zuvor, dass
ein Zeitalter enden und ein neues beginnen würde, nicht im Leben des
Landes, sondern auch im Leben jedes einzelnen von uns. Wir schafften
es noch, an die öffentlichen Aushänge ein großes Plakat zu kleben,
auf dem wir vor einem „semitischen Bürgerkrieg“ warnten, doch war
der Krieg schon ausgebrochen. In dem Moment, in dem der erste Schuss
fiel, zerbrach für immer die Möglichkeit eines einen gemeinsamen und
vereinten Landes.
Ich bin stolz auf meine Fähigkeit, mich schnell an extreme
Veränderungen anzupassen. Vielleicht liegt dies daran, dass sich
mein Leben auf einen Schlag änderte, als Adolf Hitler in Deutschland
an die Macht kam. Ich war damals neun Jahre alt, und alles, was vor
diesem Tag passiert war, starb für mich. Ich begann ein völlig neues
Leben im Land Israel. Am 29. November 1947 verstand ich, dass mir –
und anderen – wieder etwas ähnliches passierte.
Es gibt ein Sprichwort: „Man kann aus einem Ei ein Omelette, aber
nicht aus einem Omelette ein Ei machen“. Ein banales, aber sehr
wahres Sprichwort. In dem Moment, in dem der
hebräisch-arabische Krieg ausbrach, starb die Möglichkeit, dass die
zwei Völker gemeinsam in einem Staat leben würden. Kriege schaffen
eine neue Realität.
Ich ließ mich zu den „Hagana-Einheiten“ einziehen, den Vorläufern
der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (ZAHAL). Als Soldat eines
Spezialkommandos, das man damals „Füchse Simsons“ nannte, habe ich
den Krieg erlebt, wie er war – hart, grausam, unmenschlich. Wir
standen anfangs palästinensischen Kämpfern gegenüber, und dann
solchen aus der arabischen Welt. Ich zog durch arabische Dörfer, die
im Sturm des Gefechtes verlassen worden waren, und auch durch
Dörfer, aus denen man die Einwohner nach ihrer Besetzung vertrieben
hatte.
Es war dies ein ethnischer Krieg. In den ersten Monaten blieben
keine Araber hinter unseren Linien, und es blieben keine Juden
hinter den arabischen Linien. Beide Seiten verübten unzählige
Gräueltaten. Zu Beginn des Krieges sahen wir auf Fotos die
abgeschlagenen Köpfe unserer Kameraden aufgespießt in der
Jerusalemer Altstadt. Wir sahen die von den Etzel- und
Lechi-Kämpfern verübten Massaker in Dir-Yassin. In der ersten Hälfte
des Krieges wussten wir, dass man uns im Falle der Gefangenschaft
schlachten würde. Auch die arabischen Kämpfer wussten, dass dies ihr
Schicksal sein würde.
Je länger der Krieg sich hinzog, desto stärker wurde mir bewusst,
dass eine palästinensische Nation existiert, mit der man am Ende des
Krieges zu einem Frieden gelangen müsste, und dass dieser Frieden
auf Partnerschaft zwischen zwei Staaten beruhen müsste. Noch während
des Krieges legte ich diese Auffassung in einer Reihe von Artikeln
dar, die dann in der Haaretz erschienen. Gleich nach Ende der
Kampfhandlungen – ich trug als verwundeter Soldat noch die
Armee-Uniform - begann ich zwei junge Palästinenser zu treffen (die
später zu Knesset-Abgeordneten wurden), um den Weg zur
Verwirklichung dieses Plans zu ebnen. Ich hätte nicht gedacht, dass
diese Bemühungen noch 60 Jahre später voll im Gange sein würden.
Derzeit kommt hier und dort wieder die Idee auf, das Omelett
wieder zu einem Ei zu machen, den Staat Israel und den im Entstehen
begriffenen palästinensischen Staat aufzulösen, um einen einzigen
Staat zu gründen, wie wir damals gesungen hatten: „Vom Meer bis zur
Wüste“. Dies erscheint als neue und frische Idee, doch hieße dies
recht eigentlich, das Rad zurückzudrehen, eine Realität
wiederzubeleben, die für immer vergangen ist. In der Geschichte der
Menschheit funktioniert dies nicht. Was im Blut und Feuer von
Kriegen und Intifada entstanden ist - der Staat Israel und die
palästinensische Nationalbewegung -, wird nicht verschwinden, als ob
es nie da gewesen wäre. Staaten können von Kriegen zu Frieden und
Partnerschaft gelangen, wie Deutschland und Frankreich, aber sie
werden nicht aus freiem Willen zu einem einzigen Staat.
Ich bin kein Nostalgiker. Ich blicke zurück auf die Ideen meiner
Jugendzeit und versuche zu analysieren, was gewesen ist und was
bleibt. Die Ideen der „Gruppe im Kampf“ waren zwar revolutionär und
kühn – aber waren sie realisierbar? Im Rückblick ist mir klar, dass
die Idee eines gemeinsamen Staate schon realitätsfern war, als wir
sie entwickelten. Möglicherweise wäre es ein oder zwei Generationen
früher möglich gewesen. Aber Mitte der 40er Jahre hatten sich die
Dinge schon in eine andere Richtung entwickelt. Es gab keinen andern
Weg als die Teilung des Landes.
Ich glaube, dass wir in unserer grundsätzlichen Haltung recht
gehabt haben: dass wir uns mit dem Raum, in dem wir leben,
identifizieren, dass wir mit der arabischen Nationalbewegung
zusammenarbeiten und dass wir eine Partnerschaft mit der
palästinensischen Nation aufbauen müssten. Solange wir uns noch als
Teil Europas und/oder der USA sehen, können wir nicht zum Frieden
gelangen. Umso mehr, wenn wir uns als Soldaten im globalen Kreuzzug
gegen die muslimische Kultur und die arabischen Völker sehen.
Ganz wie wir damals, noch vor dem Teilungsplan, gesagt haben: Das
arabisch-palästinensische Volk existiert. Auch nach 60 Jahren,
während derer es Schläge einstecken musste wie nur wenige andere
Völker, hängt das palästinensische Volk in kaum zu überbietender
Beharrlichkeit an seinem Land. Der Traum von einem gemeinsamen Leben
in einem Staat jedoch ist gestorben, und er wird nicht mehr
auferstehen. Allerdings habe ich keinen Zweifel, dass beide Staaten,
wenn der palästinensische Staat entstehen wird, einen Weg finden und
gemeinsam in enger Partnerschaft leben werden. Die Mauern werden
fallen, die Zäune niedergerissen, die Grenzen geöffnet werden, und
die Wirklichkeit des gemeinsamen Landes wird alle Hindernisse
überwinden. Die Flaggen des Landes – zwei Flaggen zweier Völker –
werden nebeneinander wehen.
Die UN-Resolution vom 29. November 1947 war eine der weisesten
Entscheidungen in der Geschichte der Weltorganisation. Als jemand,
der sie damals mit allen Fasern seines Herzens bekämpft hat, erkenne
ich ihre Weisheit an.
(Haaretz, 29.11.07)
Uri Avnery, geb. 1923 in Beckum, ist Publizist und
Friedensaktivist und war lange Zeit Abgeordneter der
Knesset.
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