Israels Außenministerin Tzipi Livni hat sich am Mittwoch in Jerusalem mit ihrem italienischen Amtskollegen Massimo D’Alema getroffen. Auf der anschließenden gemeinsamen Pressekonferenz äußerten sich beide zur aktuellen Bedrohung aus dem Gaza-Streifen und dem allgemeinen Stand der israelisch-palästinensischen Beziehungen. Nachdem der italienische Außenminister seine Solidarität mit Israel und der israelischen Bevölkerung, vor allem im raketengeplagten Sderot, zum Ausdruck gebracht hatte, appellierte er an alle Seiten, die derzeit gegebene Gelegenheit zu einem Friedensabkommen nicht verstreichen zu lassen. Livni legte in diesem Zusammenhang noch einmal entschieden Israels Standpunkt gegenüber der Hamas und ihrer Gewaltherrschaft im Gaza-Streifen dar:
„Israel hat Gaza verlassen. Wir haben die Philadelphi Route geöffnet. Nachdem, was wir gesehen haben, ist Israels Verantwortung für das, was seit dem Ende der Besatzung geschehen ist, an ihr Ende gelangt bzw. drastisch reduziert worden. Eine Situation, in der einerseits Gaza von einer Terrororganisation übernommen worden ist, die weder Israel noch die bisher geschlossenen Abkommen anerkennt, und andererseits Israel weiter Verpflichtungen hat, ist schlichtweg verkehrt, meiner Meinung nach. Daher glaube ich, dass dies Raum lässt für Aktionen, die Israel ergreifen kann, ohne eine humanitäre Krise in Gaza herbeizuführen, um der Hamas und anderen Terrororganisationen die Botschaft zu übermitteln.
Ich muss sagen, dass mir auch die Nuancen in Hinsicht darauf, was welche Organisation tut, egal sind. Gaza wird von der Hamas kontrolliert. Dies bedeutet Einiges, und das Leben kann dort auch nicht normal weiterlaufen, selbst wenn wir das Abfeuern der Kassam-Raketen nicht vollständig verhindern können. Ich glaube, es gibt Dinge, die ein Staat zu tun verpflichtet ist.“
Der vollständige Wortlaut der Pressekonferenz in englischer Sprache findet sich unter dem folgenden Link: http://www.mfa.gov.il/MFA/Government/Speeches+by+Israeli+leaders/2007/ Joint+press+conference+with+FM+Livni+and+Italian+FM+DAlema+5-Sep-2007.htm
(Israelisches Außenministerium, 05.09.07)
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Von Anshel Pfeffer Robin Shepherd ist nicht der erste, der den ältesten Hass der Welt – den Hass gegen die Juden - zu definieren versucht, aber er ist einer der ungewöhnlichsten. Der Senior Research Fellow am außenpolitischen Think Tank Chatham House in London hat keine nennenswerte Verbindung zum jüdischen Volk, und sein jüngster Besuch in Israel war erst sein zweiter. Dennoch glaubt Shepherd, dass seine Entscheidung, ein Jahr über den neuen europäischen Antisemitismus zu forschen, für jeden ernsthaften Beobachter der internationalen Politik relevant ist.
Auf sein Interesse an dem Thema angesprochen, zitiert er den Journalisten Christopher Hitchens, der einmal gesagt hat: „Nur ein moralischer Kretin kann glauben, dass der Antisemitismus nur die Juden bedroht.“ Danach gibt Shepherd auch eine akademische Antwort: „ Der israelisch-palästinensische Konflikt ist eines der zentralen Themen der internationalen Beziehungen, und es gibt nur sehr wenige Leute auf diesem Gebiet, die keine Meinung dazu haben.“ Es war seine letzte Forschungsarbeit über die antiamerikanische Welle in Europa, die ihn zu der Überzeugung geführt hat, dass der zunehmend kritischeren Einstellung Israel gegenüber eine neue Form von Antisemitismus zugrunde liegt.
Shepherd steht noch am Anfang jenes Jahres, das er der Erforschung des Themas zu widmen gedenkt, aber schon jetzt ist er zu einigen Grundannahmen gelangt. Vor allem anderen unterscheidet er klar zwischen dem alten und dem neuen europäischen Antisemitismus bzw. – wie er es nennt – dem „subjektiven“ und dem „objektiven“ Antisemitismus. „Subjektive Antisemiten hassen grundsätzlich Juden und daher gewöhnlich auch den jüdischen Staat“, sagt er. „Es gibt Leute in Europa, die Juden gegenüber feindlich gesinnt sind, aber nur an den Rändern, ganz weit rechts und ganz weit links.“ Dieser Antisemitismus der alten Schule ist im post-kommunistischen Osteuropa nach wie vor recht weit verbreitet, während es dort gleichzeitig im Vergleich zu Westeuropa sehr viel weniger Antizionismus gibt. „Ein viel größeres Problem ist der objektive Antisemitismus, der Hass auf den Staat Israel“, betont er. „Israel ist der jüdische Staat, und wer falsche Vergleiche zwischen Israel und dem südafrikanischen Apartheidregime oder Nazideutschland zieht, vergleicht diese rassistischen Regime mit Juden und hat daher mit Antisemitismus zu tun.“
Daraus müsse man nicht schließen, dass jeder, der solche Vergleiche zieht, tatsächlich ein Antisemit sei, fügt Shepherd hinzu.“ Das hängt davon ab, inwieweit die Sache für die betreffenden eine zentrale Rolle spielt. Wenn es zu einer Obsession wird – und dies passiert in Europa immer häufiger – liegt eine neue Form von Antisemitismus vor.“ Darin besteht Shepherds Antwort auf die Standardreaktion von Israels Gegnern im Westen, dass „nicht jede Kritik an Israel gleich Antisemitismus“ sei.
„Natürlich kann man Israel kritisieren, aber es gibt einen Lackmustest: wenn die Kritiker als zentrale Begriffe solche verwenden, die sich auf die Nazis oder das Apartheidregime beziehen, wie „Bantustan“. Diese Leute werden natürlich nie zugeben, dass sie Rassisten sind, aber ein derartiger Antisemitismus ist eine sehr viel ausgeklügeltere Form von Rassismus. Wer sich der Hassrhetorik und derartiger Bilderwelten bedient, eines solch krummen und hässlichen Vergleichs, bewegt sich auf demselben moralischen Niveau wie der Rassismus, da Israel in seiner Grundlage ein jüdisches Projekt ist.
Um seine Unterscheidung zu illustrieren, bemüht Shepherd ein Beispiel aus einem anderen Kontinent. „Viele Leute werden sich dadurch verteidigen, dass sie durch die Lage der Palästinenser motiviert sind. Wenn Sie nun Ihr Missfallen über das Regime Robert Mugabes in Zimbabwe zum Ausdruck bringen wollen und sich dabei auf die Verletzung der Menschenrechte berufen, ließe sich sagen, dass Ihre Motivation die Menschenrechte sind. Wenn Sie Ihr Missfallen nun aber mittels Karikaturen zum Ausdruck bringen, die Mugabe als Gorilla zeigen, der auf blutgetränkten Bananen auf- und abspringt, wäre dies ein absolut rassistisches Image in Bezug auf Schwarze. Diese Art von image ist es aber, die gegen Israel eingesetzt wird.“
Shepherd studierte Russisch und Osteuropastudien an der University of London und schrieb seine Magisterarbeit in politischer Philosophie an der London School of Economics. Im Anschluss daran arbeitete er als Reporter für die Nachrichtenagentur Reuters in London, Prag und Bratislava und war für eineinhalb Jahre der Moskau-Korrespondent der Londoner Times. 2003 verabschiedete er sich vom Journalismus und begann an verschiedenen Forschungsinstituten zu arbeiten, „um sich mehr auf die analytische Seite der Dinge zu konzentrieren“. Weiterhin veröffentlicht er ab und an Kommentare in verschiedenen Zeitungen. Seinen politischen Standpunkt beschreibt er als „Mitte-Rechts in internationalen Angelegenheiten und sehr liberal in gesellschaftlichen Belangen“.
Den Aufstieg des neuen Antisemitismus schreibt Shepherd der Krise der „alten ideologischen Linken“ in Westeuropa zu. „Der primäre Schub kommt vom linken Flügel der alten europäischen Arbeiter- und sozialdemokratischen Parteien, und natürlich auch der überlebenden kommunistischen, trotzkistischen und marxistischen Parteien. Dies sind Gruppierungen, die in der breiteren Gesellschaft nur noch eine marginale Rolle spielen, allerdings Einfluss haben in den Gewerkschaften, die Israel boykottieren, und den meinungsbildenden Schichten wie den Medien. Die ideologische Linke liegt absolut am Boden, und sie weiß es. Darum hat sie anders als in der Vergangenheit keine positive Agenda mehr, wie die Verstaatlichung der Wirtschaft. Mangels einer positiven Programmatik bleibt den Vertretern der Linken nur noch das, was sie hassen: die USA, die kapitalistische Weltwirtschaft und Israel, das an der Frontlinie zu jener einzigen Kraft steht, die all dies herausfordert – der arabischen Welt. Daher kollaborieren sie – trotz der bedrohlichen Haltung der Araber gegenüber den Rechten von Frauen und Homosexuellen – mit der arabischen Welt.“
Diese Geisteshaltung ist in den ehemaligen Ostblockstaaten kaum zu finden. „Diese Gruppen sind schwach in Osteuropa, da sie dort nachhaltig diskreditiert sind. In Polen tun sich Politiker mitunter mit antisemitischen Kommentaren hervor, die allerdings für gewöhnlich nicht in Antizionismus übertragen werden. Die antiisraelische Einstellung findet sich hauptsächlich in Ländern wie Großbritannien, Spanien, Belgien, Norwegen und Schweden. Frankreich und Deutschland sind interessante Fälle, da dort in dieser Hinsicht Meinungsdiskrepanzen zwischen der politischen Klasse und der öffentlichen Meinung bestehen; es ist aber gut möglich, dass auch dort bald ein antiisraelischer Umschwung stattfindet.“
Um ihre Behauptung zu bekräftigen, dass sie keine Antisemiten sind, verweisen Israels giftige Kritiker gern darauf, dass sich in ihren Reihen viele Juden finden. Shepherd sagt, dass dies einer der interessantesten Punkte im Zusammenhang mit dem neuen Antisemitismus sei, dem er bei seinen Forschungen nachgehen wolle. Bereits jetzt hat er in dieser Hinsicht einige erste Schlüsse gezogen: „Ich weiß, dass die Tendenz besteht, diese Juden des Selbsthasses zu bezichtigen, aber die Sache ist komplizierter. Man muss Leute wie Noam Chomsky – Amerikaner, Jude und eine der Ikonen der europäischen Linken – verstehen. Sie hassen das jüdische Volk nicht, aber ihre politische Position im Kreis der Linken ist ihnen sehr viel wichtiger als ihre jüdische Identität. Daher kommen die schärfsten jüdischen Kritiker Israels fast ausschließlich von den Rändern der globalen Linken. Für sie ist die Politik immer wichtiger gewesen als ihre Identifizierung mit dem jüdischen Volk. Sie sind in einem Denksystem gefangen, das zufälligerweise als eines seiner zentralen Elemente den obsessiven Hass auf Israel mit sich führt.“
(Ha’aretz, 03.09.07) |