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 (3) Ein
Bürgerkrieg – ohne Zweifel
Kommentar von Avi Issacharoff

Yasser Arafat muss sich im Grab umdrehen. Kaum zweieinhalb Jahre
sind seit seinem Tod vergangen, und schon ist seine Bewegung, die
Fatah, drauf und dran, ihre letzten Bollwerke im Gaza-Streifen zu
verlieren. Schon seit einigen Monaten ringen die Palästinenser – und
mit ihnen die internationale Presse und die israelischen
Geheimdienste – mit der Frage, ob das, was in Gaza vor sich geht,
als Bürgerkrieg bezeichnet werden kann. Die Ereignisse der letzten
Tage, einschließlich des zögerlichen Rückzugsgefechts der Fatah,
haben nun offensichtlich allen Zweifeln ein Ende gesetzt. Im
Gaza-Streifen tobt ein Bürgerkrieg – und die Islamisten haben dabei
die Oberhand.
Der sich abzeichnende Ausgang wird weit reichende Konsequenzen
haben - nicht nur für die Zukunft der Palästinensischen
Autonomiebehörde (PA), sondern auch für ihre Beziehungen mit Israel,
ja womöglich für die ganze Region. Der alte palästinensische Traum
eines richtigen Staates schwindet dahin. Die Rede, die Präsident
George Bush am 24. Juni anlässlich des fünften Jahrestages seiner
Rede zur Zwei-Staaten-Vision zu halten beabsichtigt, wird einer
grundsätzlichen Revision unterzogen werden müssen. Die
Machtergreifung der Hamas im Gaza-Streifen, die gestern näher als je
zuvor gerückt ist, ist dazu angetan, die palästinensischen Gebiete
in zwei unterschiedliche politische und kulturelle Einheiten
aufzuspalten: Hamastan (der Gaza-Streifen) und Fatahstan (das
Westjordanland).
Auch wer in Israel noch immer darüber nachsinnt, ob es einen
palästinensischen Partner gibt, wird umdenken müssen. Zumindest in
Gaza, scheint es niemanden mehr zu geben, mit dem Israel sprechen
könnte. Eine lange Schlange von Palästinensern, die den
Gaza-Streifen verlassen wollen, hat sich gestern am Grenzübergang in
Rafiah gebildet. In der Redaktion der „Ha’aretz“ sind Briefe von
Palästinensern eingetroffen, die Ministerpräsident Ehud Olmert darum
bitten, die Autonomiegebiete vor der Hamas zu retten.
Dies scheint nun im Moment das letzte zu sein, was Olmert zu tun
beabsichtigt. In Regierungs- und Sicherheitskreisen verfolgt man die
Entwicklungen mit größter Sorge. Doch wird Israel, so lange es sich
dies erlauben kann, von einer Militäroperation im Gaza-Streifen
Abstand nehmen. Die Direktiven an das Südkommando sprechen von
erhöhter Alarm- und Verteidigungsbereitschaft, aber auch von
Zurückhaltung. Die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte werden
sich nicht in den innerpalästinensischen Konflikt einmischen, so
lange sie nicht mit Gewalt in ihn hineingezogen werden. Das
Kassam-Raketenfeuer wird nicht mit einer breit angelegten
Bodenoffensive beantwortet werden, zumal der Generalstabschef noch
immer so stark davon eingenommen ist, sich auf ein plötzliches
Aufflackern auf dem syrischen Schauplatz vorzubereiten.
PA-Vorsitzender Mahmoud Abbas (Abu Mazen) hat die jüngsten
Gefechte in Gaza zu Recht als „Putschversuch“ bezeichnet. Seine
Anhänger erweisen sich jedoch weiterhin als absolut hilflos im Kampf
gegen die Hamas. Die islamistische Terrororganisation hat die
Kontrolle über ganze Landstriche und Stadtgebiete des Gaza-Streifens
übernommen, während sich die Fatah-Truppen in den Hauptquartieren
der PA-Sicherheitsbehörden verschanzten und Angst hatten, vor die
Tür zu gehen. Besonders eklatant ist während der letzten Tage die
merkwürdige Abwesenheit der Fatah-Führung im Gaza-Streifen. Keiner
der Führer der Organisation, Abbas, Mouhmad Dahlan, Rashid Abu
Shabak, Samir Masharawi und andere, befindet sich in Gaza, ein jeder
mit seiner eigenen Ausrede. Jene Befehlshaber haben sich die Parole
„nach Ihnen“ zu Eigen gemacht und die örtlichen Kommandanten sich
selbst überlassen.
Die Tatsache, dass die Hamas gestern nicht am Raketenbeschuss auf
Israel teilgenommen hat, ist ein weiterer Grund zur Sorge für die
Fatah. In den vorherigen Runden des Kampfes zwischen den Lagern,
griff die Hamas, sobald sie das Gefühl hatte, den Kampf nicht
gewinnen zu können, zur Wunderwaffe der Kassam, die die Spannung auf
Israel übertrugen. Dieses Mal scheint sich die Hamas aber schon für
die nächsten zwei Tage einen historischen Sieg auszumalen. Zu diesem
Zweck hat sie all ihre Kämpfer einberufen und mit der Umsetzung
eines geordneten Aktionsplans begonnen, dessen Ziel die Vernichtung
der Fatah im Gaza-Streifen ist.
Die Schlacht wird womöglich schon heute entschieden werden.
Gestern ist deutlich geworden, dass die Fatah schrittweise darauf
verzichtet, kleinere regionale Stellungen zu halten und sich
stattdessen auf einige größere und näher beieinander liegende
Hauptquartiere in Gaza-Stadt und Umgebung zurückzieht. Wenn dieses
Gebiet an die Hamas fällt, könnte dies das Ende der Fatah im
Gaza-Streifen bedeuten. Und wenn die Fatah es schafft
zurückzuschlagen, werden wir aller Voraussicht nach eine
Wiederaufnahme des Raketenbeschusses auf Sderot von Seiten der Hamas
erleben.
(Ha’aretz, 13.06.07)
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