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(1) Rede von MP Ehud Olmert am Grab
von Paula und David Ben Gurion in Sde Boker (27.11.)
Sehr verehrter Herr Staatspräsident, verehrte
Knesset-Vorsitzende, Frau Daliah Itzik, verehrte
Minister, verehrte Knessetabgeordnete, verehrte Familie Ben
Gurion, verehrtes Publikum,
vor drei Jahren sprach ich hier als Stellvertreter des damaligen
Ministerpräsidenten Ariel Sharon und zitierte aus der Rede von David
Ben Gurion aus dem Jahre 1949 vor der Knesset hinsichtlich der
Waffenstillstandsabkommen, in der er sagte:
„… Als wir vor der Wahl standen zwischen der Ganzheit des Landes
(Erez Israel) ohne einen jüdischen Staat, oder einem jüdischen Staat
ohne die Ganzheit des Landes, haben wir den jüdischen Staat ohne die
Ganzheit des Landes gewählt.“
Diese historische Wahl, die Ben Gurion am Ende des
Unabhängigkeitskrieges getroffen hat, war schmerzvoll, doch auch
mutig; herzzerreißend, doch auch ernüchternd. Teure und ersehnte
Teile der Heimat, die Wiege unserer Geschichte, sind hinter der
Grenze zurückgeblieben, doch innerhalb des Staates Israel war eine
starke jüdische Mehrheit sichergestellt.
Die Zeit verging, die Feindschaft und der arabische Terror haben
weitere Kriege hervorgebracht, und vor ca. 40 Jahren wurde Israel
wieder vor eine schwere Wahl gestellt: viele und gute Menschen
wählten das Ideal der Ganzheit des Landes. David Ben Gurion,
damals bereits im Ruhestand, entschied, dass Israel für einen echten
Frieden auf die meisten seiner Gebiete, die es im Sechs-Tage-Krieg
erobert hatte, verzichten muss. Seitdem ist viel geschehen, Fakten
wurden geschaffen, Abkommen wurden unterzeichnet, die internationale
und regionale Arena haben sich nicht wiedererkennbar verändert.
Der blutige Konflikt mit den Palästinensern ist noch nicht
vorüber. Das Grundverständnis Ben Gurions ist noch immer gültig und
ist die Richtlinie, mit den notwendig gewordenen Anpassungen, für
die Position der israelischen Regierungen und auch für unsere
gegenwärtige Friedenspolitik.
Ben Gurion hat schon in der Geburtsstunde des Staates Israel den
arabischen Völkern die Hand zum Frieden gereicht. Die Hand wurde
zwar zurückgewiesen, bleibt jedoch noch immer ausgestreckt. Ich
reiche unseren palästinensischen Nachbarn meine Hand zum Frieden, in
der Hoffnung, dass sie nicht zurückgewiesen wird.
Über die Verpflichtung einer jeden Regierung in Israel, Frieden
anzustreben, benutzte Ben Gurion Worte, mit denen ich mich mit
ganzem Herzen identifiziere:
„Ich würde das für eine schwere Sünde halten, nicht nur für
unsere Generation, sondern auch für die kommenden Generationen, wenn
wir unsererseits nicht alles in unserer Macht Stehende getan hätten,
um eine gegenseitige Verständigung mit unseren arabischen Nachbarn
zu erzielen, und wenn zukünftige Generationen Grund hätten, die
israelische Regierung zu beschuldigen, eine Chance für den Frieden
verpasst zu haben …“. Dieses sind keine einfachen Zeiten für den
Staat und das Volk Israel. Gerade in diesen Zeiten ist es nur
natürlich, an diesen Ort zu kommen, die Grabstätte des Vaters
unserer wieder auferstandenen Nation, um daraus Inspiration zu
gewinnen.
Wenn ich heute David Ben Gurion um Rat bitten könnte, so glaube
ich, dass er mir raten würde, die Worte zu sagen, die ich
beabsichtige, heute unseren palästinensischen Nachbarn
mitzuteilen.
Ihr, das palästinensische Volk, im Süden und im Osten, im
Gazastreifen, in Judäa und Samaria, befindet euch in diesen Tagen an
der Schwelle zu einer historischen Entscheidung.
Der Terror, die Gewalt, die nicht endenden Morde und Angriffe
gegen Zivilisten des Staates Israel könnten uns einer neuen und
schmerzhaften Welle schrecklicher Gewalt näher bringen. Der
kompromisslose Extremismus eurer Terrororganisationen: die Hamas,
der Jihad, die Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden und weitere Organisationen,
haben euch dem Ziel, von dem ich überzeugt bin, dass es viele von
euch teilen, nicht näher gebracht: einen palästinensischen Staat zu
errichten, der euch eine Zukunft und Wohlstand bietet und der in
guter Nachbarschaft an der Seite des Staates Israel existieren
wird.
Am Rande der Entscheidungsfindung, welche uns in einen
eskalierenden Konflikt stürzen könnte, komme ich heute hierher, in
die Nähe des Grabes von David Ben Gurion, um euch einen anderen Pfad
vorzuschlagen, einen Pfad, der eine Chance für eine andere Zukunft
eröffnet, für euch und für uns.
Wir haben damit vorgestern begonnen. Wir haben diesen Weg
betreten und ich hoffe, dass er uns vorwärts zu jenem Ziel bringen
wird, welches wir alle anstreben: Frieden, Ruhe und gegenseitiges
Vertrauen. Wir sind bereit und willig, diesen Weg zu beschreiten und
auszuharren, bis wir die ersehnte Lösung erreicht haben.
Wenn eine neue palästinensische Regierung errichtet wird, eine
Regierung, die den Prinzipien des Quartetts verpflichtet sein wird,
die Roadmap zu implementieren und Gilad Shalit frei zu lassen, werde
ich Abu-Mazen sofort einladen, um sich mit mir zu treffen, um einen
wirklichen, offenen, aufrichtigen und ernsthaften Dialog mit uns zu
führen.
Im Rahmen dieses Dialoges und in Übereinstimmung mit der Roadmap
werdet ihr in der Lage sein, einen unabhängigen und
entwicklungsfähigen palästinensischen Staat mit einem
zusammenhängenden Territorium in Judäa und Samaria zu gründen, einen
Staat mit voller Souveränität und festgelegten Grenzen.
In diesem Rahmen werden auch die Grenzen des Staates Israel
festgelegt werden, in Übereinstimmung mit dem Brief von Präsident
Bush vom 14. April 2004 an Ministerpräsident Ariel Sharon.
Diese Grenzen werden sich von den Gebieten, die derzeit unter
israelischer Kontrolle sind, unterscheiden.
Ich verstehe die hohe Bedeutung, welche die palästinensische
Gesellschaft der Frage der Gefangenen beimisst. Ich erkläre hiermit,
dass, wenn Gilad Shalit freigelassen wird und sicher und
wohlbehalten zu seiner Familie zurückkehrt, die Regierung des
Staates Israel gewillt ist, eine größere Anzahl von
palästinensischen Gefangenen freizulassen, inklusive solcher, die
eine lange Haftstrafe verbüßen, um das Vertrauen zwischen uns zu
vergrößern und zu beweisen, dass unsere Hand für einen wirklichen
und wahrhaften Frieden ausgestreckt ist.
Ich habe dies vor der Entführung Gilad Shalits gesagt und ich
habe meine Position dahingehend nicht geändert.
Ich weiß, dass viele palästinensische Familien den Tag herbei
sehnen, an dem ihre Lieben nach Hause zurückkehren. Dieser Tag
könnte bald kommen.
Ich glaube, dass viele von euch des furchtbaren Preises
überdrüssig sind, den ihr als Resultat für den in euren Straßen
vorherrschenden Terror bezahlt.
Ich glaube, dass viele von euch sich danach sehnen, ein neues
Kapitel in der blutigen Geschichte unserer Beziehungen zu öffnen,
was wir gemeinsam tun können.
Das Ende von Terrorismus und Gewalt wird uns in die Lage
versetzen, euch eine Reihe von Schritten anzubieten, die in
gemeinsamer Koordination eine Verbesserung der Lebensqualität der
palästinensischen Bevölkerung ermöglichen sollen, welche ernsthaft,
als Resultat der Notwendigkeit, Verteidigungsmaßnahmen gegen ihre
terroristischen Aktivitäten zu unternehmen, beeinträchtigt wurde.
Wir werden eine beträchtliche Anzahl an Straßensperren abbauen,
die Bewegungsfreiheit in den Gebieten erhöhen, die
Bewegungsmöglichkeit von Menschen und Gütern in beide Richtungen
ermöglichen, die Abläufe an den Grenzübergängen zum Gazasteifen
verbessern und die Freigabe von palästinensischen Geldern zur
Erleichterung der schweren Lebensbedingungen, unter denen viele von
euch leiden, veranlassen.
Wir können euch bei der Erstellung eines Plans zur
wirtschaftlichen Rehabilitierung des Gazastreifens und Gebieten in
Judäa und Samaria unterstützen.
Wir können euch bei der Gründung von Industriegebieten helfen, in
Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft, um
Arbeitsplätze und die Mittel, für ein Einkommen zur Führung eines
anständigen Lebens, zu schaffen. Darunter fällt auch die
Verringerung der anhaltenden Abhängigkeit vom israelischen
Arbeitsmarkt.
Wir werden nach der Unterstützung von jenen arabischen
Nachbarstaaten streben, die an einer friedlichen Lösung für den
Konflikt zwischen uns interessiert sind, wie z.B. das Königreich
Jordanien, Ägypten, Saudi-Arabien und die Golfstaaten, um von deren
Erfahrungen zu profitieren sowie deren Unterstützung für direkte
Verhandlungen zwischen uns zu erhalten.
Die Stimmen, die aus diesen Staaten hinsichtlich der
Notwendigkeit einer Anerkennung und Normalisierung der Beziehungen
zum Staat Israel – inklusive z.B. Teile der saudi-arabischen
Friedensinitiative – kommen, sind positiv, und ich beabsichtige,
mich zu bemühen, die Verbindungen zu diesen Staaten voranzutreiben
und deren Unterstützung für direkte, bilaterale Verhandlungen
zwischen uns und den Palästinensern zu stärken.
Ich habe mit großer Aufmerksamkeit die ernsthaften Anstrengungen
jener Staaten verfolgt, um ein Ende der Gewalt in der Region zu
erreichen, und ich respektiere ihren aufrichtigen Wunsch, eine neue
Atmosphäre zwischen uns zu schaffen, um so eine Lösung des
Konfliktes zu erreichen.
Die internationalen Umstände, die kreiert wurden, besonders zur
jetzigen Zeit, erlauben euch und uns, einen mutigen Schritt zu
gehen, der beinhaltet, nötige und schmerzhafte Kompromisse zu machen
und auf Träume zu verzichten, die so viele Jahre Teil unseres
nationalen Ethos waren, und um ein neues Kapitel aufzuschlagen, das
uns Hoffnung für ein besseres Leben für uns alle eröffnet.
Wir, der Staat Israel, sind damit einverstanden, Territorien und
viele Gemeinden, die darin errichtet wurden, zu evakuieren. Das ist
für uns sehr schwer, ähnlich wie die Teilung des Roten Meeres, doch
wir werden es tragen, im Austausch für wahren Frieden.
Ihr müsst den Terror und die Gewalt gegen israelische Bürger im
Süden, Zentrum und Norden des Landes beenden, unser Recht auf Leben
in Sicherheit und Frieden neben euch anerkennen und von eurer
Forderung auf das Rückkehrrecht ablassen. Dies ist ein richtiges
Ziel, ein natürliches Ziel, ein erreichbares Ziel.
Wenn ihr die nötige Bestimmtheit und Disziplin beweist, findet
ihr in uns einen bereiten Partner. Der Staat Israel ist ein starker
Staat. Seid nicht fehlgeleitet von unseren internen Differenzen,
unseren politischen Rivalitäten oder der düsteren Stimmung, die wir
manchmal ausstrahlen.
In einem gewalttätigen Kampf werden wir siegen, selbst wenn er
lange dauert und viele Opfer fordert; selbst wenn mit eingeschlossen
ist, dass Kompromisse bei der Lebensqualität gemacht werden müssen,
hat der Staat Israel seine Stärke in der Vergangenheit bewiesen und
ist auch heute darauf vorbereitet.
Stellt uns nicht erneut auf die Probe, was viele Schäden und
Zerstörung bedeuten und zu Not und Verzweiflung führen würde.
Die Vergangenheit kann nicht geändert werden, und die Opfer des
Konfliktes, von beiden Seiten der Fronten, können nicht
zurückgebracht werden.
Diktate sind nutzlos, und gegenseitige Beschuldigungen sind
nichts als sinnlose Wortspiele. Historische Rechnungen können nicht
beglichen und Narben können nicht weggewischt werden.
Alles, was wir tun können, ist, weitere Tragödien zu verhindern,
der jüngeren Generation einen hellen Horizont und Hoffnung auf ein
neues Leben zu vererben. Lasst uns unsere Feindseligkeit und das
„Säbelrasseln“ in gegenseitige Anerkennung, Respekt und direkten
Dialog verwandeln.
Von hier, vom Rande der Klippe, die biblische Landschaft des
Wadis Tzin überblickend, jener Gegend, die David Ben Gurion als
endgültige Ruhestätte für sich und seine Frau Paula auswählte, ist
der Ruf des Staates Israel nach Frieden klar und bestimmt zu
hören. Möge er widerhallen und positiv in diesen Zeiten
beantwortet werden.
Möge die Erinnerung an David und Paula Ben Gurion gesegnet
sein.
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