Verständlicherweise können viele
Menschen in der heutigen Welt nicht die palästinensische Ideologie
und Strategie nachvollziehen, weil diese, verglichen mit normaler
Politik, so bizarr ist.
Bevor man die
Grundprinzipien des palästinensischen Zugangs an die Materie
betrachtet, ist es sinnvoll sich anzusehen, wie die Dinge
normalerweise laufen und wie sich die Menschen auf Grund dessen die
palästinensische Politik, die sie nicht kennen,
vorstellen.
Normale Politik weist
realisierbare Ziele auf, widmet dem Kräftegleichgewicht eine nicht
geringe Aufmerksamkeit, vermeidet es, Konflikte zu verlieren und
strebt nach einem stabilen Staat.
Hohe Prioritäten
haben außerdem die Anhebung des Lebensstandards und der Bau
effektiver Institutionen, die dem Volk dienen.
Jeden Tag versuchen
westliche Regierungen, Medien und Akademiker, dieses Modell dem
palästinensischen Verhalten und der palästinensischen Politik und
Ideologie aufzuerlegen. Doch es funktioniert nicht. Die Dinge, von
denen viele im Westen denken, sie motivierten Palästinenser –ein
eigener Staat, das Ende der Besatzung- sind für die Palästinenser
selbst im Grunde gar nicht von Interesse. Das Interesse wird nur
vorgetäuscht und die einzige Möglichkeit, diese Vortäuschung
aufrecht zu erhalten, ist eine Kombination aus Amnesie und Verzicht
auf diese Art von rationaler Analyse, die benutzt wird, um alle
anderen politischen Situationen in der Welt zu
betrachten.
Ich muss hinzufügen,
dass palästinensische Intellektuelle privat (jedoch niemals
öffentlich) ziemlich ähnlich klingen wie ich. Immer wieder hört man
Abscheu, Verzweiflung und tiefgehenden Zynismus im Zusammenhang mit
den unten stehenden Grundprinzipien.
Glaubt man der
gegenwärtigen palästinensischen Ideologie und Strategie, ist der
Konflikt unlösbar und es gibt keine Möglichkeit, die Gewalt zu
stoppen. Andererseits, sozusagen als Ergebnis, funktionieren
palästinensische Taktiken nicht, die Politik ist nicht organisiert
und die militärische Strategie ist sinnlos. Die Palästinenser können
Israel zwar schikanieren, doch mehr können sie nicht
tun.
Im Folgenden nun die
Basispunkte, die helfen sollen, die palästinensische Politik besser
zu verstehen:
- Es gibt kaum
moderate Palästinenser im öffentlichen Leben und die wenigen, die es
gibt, halten ihren Mund oder geben die militante Mehrheitsmeinung
wieder. Mit wenigen Ausnahmen –die an den Fingern abzuzählen sind-
kann ein moderater Palästinenser in der Praxis gewöhnlich als jemand
definiert werden, der sich in gutem Englisch für den Terror
entschuldigt. Das Mantra „Man muss den Moderaten helfen“ kann unter
diesen Bedingungen nicht funktionieren.
- Die Strategien der
Fatah und der PLO beruhen auf dem Glauben, dass Niederlagen
aufgehalten werden können so lange man kämpft. Ihr einzig wahrer
Sieg ist das Andauern des Kampfes. Natürlich sind die Kosten dafür
nicht nur Gewalt, Leiden und Störungen des täglichen Lebens, sondern
auch der Misserfolg bzgl. des Erreichens irgendwelcher materiellen
Werte.
Deshalb ist das
Konzept des „Kreislaufs der Gewalt“ zwecklos. Palästinenser greifen
Israel nicht an, weil Israel sie angreift, sondern weil dies das
einzige Programm ist, das sie haben.
- Was auch immer die
gewöhnlichen Leute im Privaten denken mögen, die große Mehrheit der
Aktivisten glaubt, alles müsse dem Kampf untergeordnet werden.
Demokratie,
Lebensstandard, Rechte für Frauen usw. haben keinen Wert, es sei
denn, sie tragen zum Kampf gegen Israel bei. Deshalb versagt das
Prinzip, an materielle Interessen der Palästinenser zu appellieren
oder einen Führer zu finden, der die Prioritäten im Erreichen von
Frieden und Wohlstand sieht.
- Das Zwischenziel
lautet, vorgetäuschte Siege für sich zu beanspruchen. Diese sind in
der Realität jedoch nichts anderes als teure Niederlagen. Wenn nach
40jährigem bewaffnetem Kampf der große Triumph der Bewegung darin
besteht, dass einmal im Jahr ein israelischer Vorposten zerstört und
ein israelischer Soldat entführt wird, dann zeigt dies eine
bemerkenswerte Schwäche auf dem Kampffeld. Indem man Israel durch
Raketenangriffe Schaden zufügt, dient man keinen palästinensischen
Strategiezielen. Das einzige Ziel, das erreicht wird, besteht darin,
dass sich die Menschen in Anbetracht dieses Schadens gut fühlen
(obwohl sie selbst viel mehr Schaden dadurch erleiden).
Märtyrer zu feiern
bedeutet schlichtweg, mit den eigenen Opfern zu prahlen.
- Die soziale Politik
der Bewegung ist beachtenswert reaktionär. Trotz ihrer linken
Fassade aktiviert sie –außer dem Publikum, das die Helden bejubelt-
nicht die Massen. Die Fatah hat weder eine ökonomische noch eine
soziale Politik. Und die Hamas versucht, das, was sie „Palästina“
nennt, in einen zweiten Iran oder ein zweites Afghanistan zu
verwandeln.
Man hat mehr
gemeinsam mit dem Weltbild des Mittelalters als mit dem chinesischen
oder kubanischen Visionen von Guerillakriegen. Palästinensische
Gruppen nutzen nur einen winzigen Teil des Potentials weiträumiger
sozialer Mobilisation.
- Infrastruktur ist
nicht nur unwichtig, sie stört den umfassenden Kampf. Denn wenn sich
Palästinenser mit der Schaffung von Arbeitsplätzen, Erziehungs- oder
Gesundheitssystemen oder einer erfolgreichen Wirtschaft
beschäftigen, macht sie das zufriedener bezüglich ihres Schicksals
und weniger willig, für die Sache zu kämpfen und zu
sterben.
Dieses Konzept, das
für westliche Beobachter unerfreulich ist, ist im Nahen Osten
normal. Man muss sich nur einmal Saddam Husseins unverantwortliche
Aggression und die Vorliebe der syrischen Herrscher für Stagnation
anstatt für Reformen ansehen.
- Benutze das Leiden
deines Volkes, um internationale Unterstützung zu erhalten. Die
palästinensischen Führer schrecken nicht vor Zerstörung oder dem
Leiden des Volkes zurück. Nachdem gesagt worden war, die Hamas habe
die Minen verlegt, die palästinensische Zivilisten letzten Monat
getötet haben, meinte eine amerikanische Zeitung, dass die Hamas dem
eigenen Volk so etwas doch niemals antun würde.
Im Gegenteil: Es gibt
ein langes Muster der Opferung palästinensischen Lebens und
Wohlstandes für Propagandazwecke. Kinder werden von offiziellen
palästinensischen Medien ermutigt, Terroristen und somit „Märtyrer“
zu werden.
- Lüge ohne Ende,
belüge nicht nur alle anderen sondern auch dich selbst. Porträtiere
Israel immer als falsch und Amerika immer als feindlich. Die
Unfähigkeit der Palästinenser, über diese Propaganda hinauszugehen,
und die pausenlose Dämonisierung haben –außer in seltenen Zeiten
während des Oslo-Prozesses- sichergestellt, dass die Palästinenser
nicht erfolgreich im Umgang mit diesen Ländern sind.
So lautet eine
Verlierer-Strategie: Zerstöre deine Infrastruktur; mache
internationale und sogar arabische Unterstützung durch Extremismus
zunichte –niemand ist mehr überrascht, dass nicht einmal arabische
Staaten etwas tun, um den Palästinensern aus ihrem Durcheinander
herauszuhelfen-; werfe Chancen für das Erreichen von Zwischenzielen
(einen Staat zu bekommen) weg, um keine Kompromisse bezüglich der
Chance auf einen totalen Sieg einzugehen; wiederhole alte Fehler;
freue dich über Niederlagen, die Märtyrer hervorrufen; verhöhne die
einzige Supermacht der Welt; preise die Anarchie; büße jede Chance
ein, die Sympathien der anderen Seite zu erlangen.
Eine solche
Selbstmordstrategie kann –wie die Selbstmordanschläge auch- dem
Feind Verluste zufügen, ihn jedoch nicht besiegen. In der Tat
garantiert das Opfern so vieler möglicher Vorteile, dass die Kluft
ständig breiter wird, und zwar zum Vorteil der anderen
Seite.
Da jedes Zeichen von
Widerstand gegen diesen katastrophalen Zugang an die politische
Materie fehlt, scheint es, dass es noch einige Jahrzehnte mehr
voller glorreicher Niederlagen und Märtyrertum geben wird.
Vielleicht werden es sogar so viele sein, dass selbst diejenigen im
Westen, die weiterhin etwas anderes erwarten, verstehen werden, was
hier vor sich geht.
Der Autor ist
Direktor des „Global Research in International Affairs Center“ und
Redakteur der „Middle East Review of International
Affairs“.