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(1) „Ein Land, in dem es Spaß macht
zu leben“, Auszüge aus einem Interview mit Ehud Olmert
Auszüge aus einem Interview mit dem amtierenden Ministerpräsident
Ehud Olmert, von Aluf Benn und Yossi Verter, Haaretz, 10.3.2006
Sagen Sie uns bitte, fragen wir den amtierenden israelischen
Ministerpräsidenten Ehud Olmert, muss ein Staatsführer ein Vorbild
für seine Landsleute sein? „Auf jeden Fall“, antwortet er mit
einer Spur von Misstrauen. Wie wird Ihre persönliche
Vorbildfunktion aussehen?, wollen wir wissen. „Ich möchte nicht
aufgeblasen klingen“, sagt er. „Doch zu allererst muss ein
Regierungschef führen. Er muss ein Mensch sein, der die Stärke, den
Mut und die Fähigkeit besitzt, schwierige Entscheidungen zu treffen
und Verantwortung zu übernehmen. So etwas wird von einem Menschen
erwartet, der einer Regierung vorsteht. Ein Regierungschef muss
Selbstdisziplin, Fleiß und Hingabe ausstrahlen. Viele Dinge wurden
während der vergangenen Jahre über mich gesagt. Doch es wurde
niemals gesagt, dass ich dem, was ich tue, nicht treu ergeben bin.
Ich investiere Leib und Seele in die Verantwortung, die mir
auferlegt wurde. So werde ich es auch als gewählter
Ministerpräsident machen.“ Sprechen wir von der Zukunft, vom
letzten Tag Ihrer Amtszeit. Wie wird das Land aussehen, das Sie
hinterlassen? „Es wird ein anderes Land sein, in anderen Grenzen.
Es wird von der großen palästinensischen Bevölkerungsmehrheit
getrennt sein. Es wird ein Land mit weniger Gewalt von außen und
mehr persönlicher Sicherheit sein. Ein Land, das effektiver mit
sozialen Krankheiten umgeht.“ Er macht eine kurze Pause und fügt
dann an: „Es wird ein Land sein, in dem es Spaß macht zu leben. Die
Menschen werden nicht nur das Land lieben, sondern sie werden auch
lieben zu sagen, dass sie es lieben.“ Das hört sich fast ein
bisschen nach „Ale Yarok“ („Grünes Blatt“) an, d. h. nach der
Partei, die den Marihuana-Konsum legalisieren will, sagen Aluf Benn
und Yossi Verter.
Die Grenzen markieren
Diese Woche entschied Ehud Olmert, den Nebel zu vertreiben, der
seine Positionen seit der Nacht einhüllte, in der er von
Ministerpräsident Ariel Sharon die Amtsgeschäfte übernehmen musste.
Am Mittwoch präsentierte der Vorsitzende der Kadima-Partei –und
gemäß Umfrageergebnissen der führende Kandidat für das Amt des
Regierungschefs- in einem Interview seinen Plan bzgl. diverser
Staatsangelegenheiten. Seine Botschaft kann nicht missverstanden
werden: Olmert bereitet die israelische Öffentlichkeit auf einen
Rückzug aus dem größten Teil der Westbank und auf das Festsetzen
einer neuen Grenze hinter dem Sicherheitszaun vor. Der Zaun wird die
großen Siedlungsblöcke und das „vereinigte“ Jerusalem umfassen. Das
Festsetzen der Grenze mit breiter interner und internationaler
Zustimmung wird Olmerts Meinung nach die Hauptaufgabe der nächsten
Regierung sein. „Ich glaube“, sagt Olmert, „dass sich Israel in
vier Jahren von der großen Mehrheit der palästinensischen
Bevölkerung abgekoppelt haben wird. Israel wird neue Grenzen haben,
und der Verlauf des Zauns, der bisher ein Sicherheitszaun war, wird
der neuen Linie einer dauerhaften Grenze angepasst sein. Es könnte
sein, dass wir den Zaun gemäß einer Linie, der wir zustimmen, in
manchen Fällen nach Osten verlegen und in anderen Fällen nach
Westen. Wir werden bzgl. der Prägung Israels als jüdischer Staat mit
einer soliden, stabilen jüdischen Mehrheit, die nicht in Gefahr ist,
einen entscheidenden Schritt nach vorne gehen.“ Wenn er die
Wahlen gewinnt, beabsichtigt Olmert sofort, einen „innenpolitischen
Dialog“ über Israels dauerhafte Grenzen „mit allen Elementen, die
für eine solche Entscheidung wichtig sind“ zu beginnen, sagt
er. Inklusive des Siedlerrates? „Natürlich. Der Siedlerrat ist
ein wichtiger Teil der israelischen Öffentlichkeit. Wir dürfen den
Dialog nicht aufgeben. Wir müssen versuchen, die
Meinungsunterschiede mit ihm zu verringern und vielleicht sogar eine
Übereinstimmung zu erreichen. Jeder, der wie ich denkt, dass es
nötig ist, mit unseren Feinden zu verhandeln, ist sicherlich auch
der Meinung, dass es vor allem nötig ist, mit uns selbst zu
verhandeln.“ Olmert ist vorsichtig mit Versprechen vor der Wahl
und will sich nicht festlegen. Nicht bezüglich Menschen und nicht
bezüglich Entscheidungen. Er weigert sich z. B. zu sagen, ob er
hinsichtlich Israels Grenzen einen Volksentscheid anstrebt. Seiner
Meinung nach ist es zu früh, dies zu erwägen. „Das Prinzip, das
mich bei der Führung dieses Dialogs leiten wird“, sagt Olmert, „ist
das Zusammentreffen der großen Siedlungsblöcke und die Verdichtung
dieser Blöcke. Zum jetzigen Zeitpunkt möchte ich nicht präziser
darauf eingehen, doch jeder weiß, dass Gush Etzion innerhalb des
Staates Israel bleiben wird und ebenso die Umgebung Jerusalems und
Ma’aleh Adumim.“ Werden Sie trotz US-amerikanischer Einwände
innerhalb des Gebietes E1, zwischen Jerusalem und Ma’aleh Adumim,
bauen? „Natürlich. Schließlich ist es undenkbar, dass wir über
Ma’aleh Adumim als Teil des Staates Israel reden und es dann wie
eine Insel oder isolierte Enklave zurücklassen. Es ist vollkommen
klar, dass das Gebiet zwischen Jerusalem und Ma’aleh Adumim bebaut
wird. Dies ist sowohl den Palästinensern wie auch den Amerikanern
klar. Meiner Meinung nach gibt es bezüglich dieser Angelegenheit
eine vollständige Übereinstimmung in Israel. Selbst Yossi Beilin,
mit dem ich in der Regel nie übereinstimme, sagte, dass Ma’aleh
Adumim innerhalb von Israel bleiben muss.“ Und das
Jordantal? „Unsere Sicherheitsgrenze wird auf jeden Fall entlang
des Jordans verlaufen. Es gibt diesbezüglich strategische
Betrachtungen, die wir nicht aufgeben können.“ Parallel zum
innenpolitischen Dialog beabsichtigt Olmert, Gespräche mit der
internationalen Gemeinschaft aufzunehmen, um deren Unterstützung zu
gewinnen. Seiner Meinung nach gibt es nun eine seltene Gelegenheit,
breite internationale Zustimmung für die dauerhaften Grenzen, die er
plant, zu erhalten. Die Kombination vom Aufstieg der Hamas an die
Macht in der Palästinensischen Autonomiebehörde und der
Unterstützung, die Israel in Folge der Abkopplung vom Gazastreifen
erhalten hat, erlaubt die Erzielung eines Abkommens, das in einigen
Jahren schwer zu erreichen sein könnte.
Eigeninitiative
Olmert legt das obligatorische Lippenbekenntnis für die so
genannte „Road Map“ und den Dialog mit den Palästinensern ab, doch
es ist offensichtlich, dass er nicht ernsthaft daran glaubt, sondern
vorzieht, dass Israel einseitige Schritte mit US-amerikanischer und
europäischer Unterstützung ausführt. Er erwähnt erneut die
„Anfangsbedingungen“ für Verhandlungen mit der Hamas-Regierung: eine
Änderung in der Charta der Bewegung, Anerkennung von Israels
Existenzrecht, Entwaffnung und die vollständige Beendigung des
Terrors. Und wie lange werden Sie warten, bis die Hamas diesen
Forderungen nachkommt? „Wenn wir nach einer vernünftigen
Zeitspanne –die nicht in Jahren gemessen wird- zu der
Schlussfolgerung gelangen, dass die Palästinenser nicht
beabsichtigen, gemäß diesen Prinzipien zu handeln, wird der Staat
Israel kein Risiko eingehen. Wir sind nicht bereit unbegrenzt darauf
zu warten, ob diese Autonomiebehörde uns nun vom Terror zu einer Art
von Verhandlungen und dann zurück zum Terror und wieder zu
Verhandlungen schaukelt. Wir erlebten diese Vorgehensweise während
der letzten 10 bis 15 Jahre und gewannen dadurch nichts. Doch jedes
Mal wenn wir uns entschieden, selbst die Initiative zu ergreifen,
haben wir etwas erreicht.“ (…) Seit Olmert die Verantwortung
übertragen bekam, legte er großen Wert darauf, seine Schritte mit
den Hauptdarstellern in der internationalen Gemeinschaft zu
koordinieren. Als Grundlage für diplomatische Unterstützung misst er
der persönlichen Bekanntschaft unter Staatsoberhäuptern große
Bedeutung zu. (…)
Koalitionsgedanken
Über die Koalition, die er in Gedanken zusammensetzt, sagt er
nichts außer der allgemeinen Bemerkung, dass er keine „jüdische und
zionistische Partei“ ausschließe. (…) Er handelt nicht nach
Sharons Weise. Sharon hatte am Vorabend der Wahlen im Jahr 2003
erklärt, dass Shaul Mofas den Posten des Verteidigungsministers
erhalten würde. Olmert zieht es vor, keine Koalitionskarte
aufzudecken. Außer dem Amt des Bildungsministers, das gemäß Sharons
Versprechen für Professor Uriel Reichman vorgesehen ist, ist alles
Verhandlungssache. Olmert ist auch nicht bereit zu sagen, wer sein
Stellvertreter werden wird, sollte er Premierminister werden. In der
Vergangenheit wurde gesagt, dass Justiz- und Außenministerin Tzipi
Livni diesen Posten erhalten sollte. Doch Olmert weigert sich,
darauf Bezug zu nehmen. So weit er betroffen ist, sollen sie alle
schwitzen. Das macht Sinn. Wenn Kadima mehr als 40 Sitze erhält,
kann Olmert gegenüber jedermann großzügig sein. Wenn Kadima weniger
als 35 Sitze bekommt, wird er für die Koalition, die er bildet,
zahlen müssen. Er nennt Kadima –die Partei, die Sharon ihm
hinterlassen hat- „die israelische Starbesetzung“. (…) „Wir haben
das beeindruckendste Team, das jemals für den Regierungsanspruch im
Staat Israel gekämpft hat“, sagt er begeistert. „Kadima trägt die
Botschaft von Regierungsstabilität. Und jeder, der Stabilität
möchte, und jeder, der kein System möchte, das häufig der Erpressung
der kleinen Parteien ausgesetzt ist, muss Kadima wählen.“ Die
Erwähnung von Amir Peretz’ Namen ruft im Gegensatz zu Benyamin
Netanyahus Namen keine gehässigen Bemerkungen hervor. Vielleicht ist
dies ein Zeichen für die Zusammensetzung der nächsten Koalition.
Bezüglich der Angelegenheit, den Mindestlohn anzuheben –das
Hauptbanner der Werbekampagne der Arbeiterpartei- ist Olmert nicht
bereit, nachzugeben. „Es ist unverantwortlich, in Wahlsprüchen
über die Erhöhung des Mindestlohns zu reden wenn der Preis dafür der
Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen ist. Alle
Wirtschaftswissenschaftler sagen das, abgesehen von einer kleinen,
radikalen, populistischen und sozialistischen Gruppe, die Peretz
umgibt und sich seinen Wahlsprüchen unterwerfen muss.“ (…)
Olmert privat
Sharon war es niemals peinlich zu sagen, dass ihm seine Position
gefällt. Gefällt Ihnen diese Position als Ministerpräsident? „Mir
wurde niemals falsche Bescheidenheit nachgesagt“, erwidert er, „doch
es scheint mir voreilig zu sein, über Gefallen zu reden. Ich kann z.
B. nicht mehr mit meiner Frau zu Hause sitzen und tun, was mir
gefällt. Ich kann nicht mehr spontan einen Film anschauen. (…) Ich
kann nicht mehr zu den Spielen der Fußballmannschaft Betar Jerusalem
gehen. Der Gedanke, dass Betar Jerusalem Hapoel Tel Aviv schlagen
wird, und ich es nur zu Hause anschauen kann, gefällt mir
nicht.“ Sie vermitteln das Bild eines reichen Mannes – Zigarren,
Spitzenanwälte, ein Mann, der ein Haus für 3 Millionen Dollar
verkauft hat. „Warum nicht 8 Millionen?“ wendet er ein. „Die
genaue Summe beträgt 2,7 Millionen, noch genauer, 2,69 Millionen.“
(…) Ich war niemals ein Spitzenanwalt. Ich hatte schlichtweg nicht
die Zeit dazu. Ich habe 15 Jahre als Anwalt gearbeitet. Gleichzeitig
hatte ich meine Arbeit in der Knesset. Damals erlaubte das
politische System dies. Meine Frau und ich kauften das Apartment für
300.000 $ plus 150.000 $ Hypothek – das ist mein ganzer Wohlstand.
Zwanzig Jahre später, im Alter von 60, verkaufte ich das Apartment.
In der Zwischenzeit habe ich Schulden abbezahlt und meinen Kindern
geholfen, so wie es in jeder israelischen Familie geschieht.“ Die
Familie bringt einen anderen Olmert zutage. Einen sanfteren. Seine
Frau Aliza entlockt ihm Superlative. „Meine Frau ist einzigartig“,
sagt er begeistert. „Sie engagiert sich für Millionen von Dingen,
ohne Publicity und ohne einen Cent für ihre Ausgaben ersetzt zu
bekommen. Es gibt viele Institutionen für Risikokinder, für
misshandelte Frauen, für Kultur und Kunst, die nur Dank meiner Frau
existieren.“ Welche Art von First Lady wird sie sein? „Sie hat
gesagt: Ich werde nicht Hillary Clinton und nicht Sonia Peres
sein.“ Haben Sie je daran gedacht, sich aus dem politischen Leben
zurückzuziehen? „Es gab solch eine Möglichkeit, und zwar am Abend
der letzten Regierungsbildung (Anmerkung der Autoren: als Sharon
Olmert mitteilte, dass er nicht Finanzminister würde), doch diese
Möglichkeit war schnell vorbei. Auf jeden Fall“, sagt er, „ist es
gut für einen Spitzenkandidaten, wenn er eine andere Option
außerhalb des politischen Lebens hat. Es ist gut für die innere
Ausgeglichenheit und für das Urteilsvermögen.“ Welches sind Ihre
Optionen? „Entweder gewählter Ministerpräsident zu sein“, sagt
er, „oder Betar Jerusalem zu coachen.“ (…)
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