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(1) Palästinensische Demokratie. Es
ist möglich.
Man muss der Palästinensischen Autonomiebehörde helfen, Reformen
voranzubringen, aber ihr auch Bedingungen stellen.
Von Arie Green, Haaretz, 28.9.05
Wenn sich die Wolke des Rückzugs aus dem Gazastreifen aufgelöst
haben wird, wird sich die israelische Öffentlichkeit an genau jenem
Punkt befinden, an dem sie sich vor der Abkopplung befand. Nachdem
die zwei zentralen Illusionen, die die israelische Politik
anführten, zerschmettert wurden – der Traum eines ganzen Eretz
Israel und die Illusion eines Friedens noch in unserer Generation –
ist die israelische Öffentlichkeit auf der Suche nach einer
Richtung, einer Vision und einer Hoffnung.
In der Zusammenfassung einer Formel für eine haltbare politische
Lösung des alten Hillel (1.Jh.v.d.Z.), heißt es: „was dir verhasst
ist, das mach dir nicht zum Freund“. Es ist klar, dass eine jüdische
Souveränität in dem Gebiet der Westbank nicht aufrechterhalten
werden kann, ohne die Rechte der dort lebenden Palästinenser zu
berücksichtigen. Andererseits darf das jüdische Volk nicht aus
seinem Land vertrieben und von den Orten, die die Wiege seiner
historischen Existenz bedeuten, nicht getrennt werden.
Dementsprechend müssen wir fragen: Wie sieht die politische Lösung
aus, die es Juden und Palästinensern ermöglicht, Seite an Seite in
der Westbank zu leben, während Palästinensern Freiheit,
Selbstbestimmung und Unabhängigkeit gesichert ist und den Juden
freier Zugang zu Hebron, zum Grab Rachels, zu Nablus und all jenen
Orten gewährt wird, die uns den Mut gegeben haben, nach zweitausend
Jahren in unser Land zurückzukehren. Eine solche Lösung wird
vielleicht nicht Antworten auf alles geben, doch sie würde im Ansatz
und im Wesentlichen stimmen.
Den Palästinensern muss geholfen werden, einen freien und
demokratischen Staat zu schaffen. Und so, wie die arabischen Bürger
Israels in Israel als nationale Minderheit leben, die die vollen
Bürgerrechte genießt, können die Juden der Westbank in einem
demokratischen und freien palästinensischen Staat als nationale
Minderheit mit Bürgerrechten leben. Man kann über eine Reihe von
kreativen Lösungen für das Wahlrecht und die Souveränität
nachdenken, so, wie es zahlreiche andere Demokratien in der ganzen
Welt tun, deren Bürger in einem Land leben, aber Wahlrechte in ihrem
Mutterland haben. Alle Lösungen basieren auf der einen Grundlage:
der demokratische palästinensische Staat muss seine Fähigkeiten für
die günstige Entwicklung seines Volkes zum Einsatz bringen und nicht
nach Zerstörung und Ermordung der Bürger seines jüdischen
Nachbarstaates trachten.
Jede politische Lösung, die Israel und die internationale
Gemeinschaft bis heute vorangetrieben haben, basierte auf einem
palästinensischen Regime und Normen, unter denen niemand im Westen
bereit gewesen wäre, zu leben. Und worauf basiert das Osloer
Abkommen, wenn nicht auf einem Diktator, der aus Tunis hergebracht
wurde, um „ohne Bagaz und ohne Betzelem“ [der Oberste Gerichtshof in
Jerusalem und eine israelisch-palästinensische
Menschenrechtsorganisation, Anm. d. R.] und sein Volk mit starker
Hand zu führen und Israel die Ruhe, Sicherheit und Stabilität zu
bieten, auf die es so hofft.
Für die internationale Gemeinschaft und auch für Israel wäre es
leicht, einfach die Augen vor der Korruption, der internen Gewalt,
der Kultur des Hasses und andauernden Gehirnwäsche zu verschließen,
die in den offiziellen Einrichtungen der Palästinensischen
Autonomiebehörde an der Tagesordnung sind. Es wäre einfach,
zuzusehen, wie die palästinensische Gesellschaft zu einem
„Waffenchaos“ wird – so definierte es ein palästinensischer
Menschrechtler, den ich vor kurzem traf.
In seinem Buch „The Case for Democracy“ behauptet Nathan
Sharansky, dass eine palästinensische Demokratie real und
unabdingbar für das Wohlergehen der Palästinenser und der Israelis
zugleich ist und dass dies durch internationalen Druck erreicht
werden könne. Diese Darstellung skizziert auch einen praktischen Weg
zur Demokratie. Nach diesem Entwurf würde man drei bis fünf Jahre in
den Aufbau der notwendigen zivilen Basis investieren: freie
Wirtschaft, Bildung ohne Aufhetzung zur Gewalt, Aufbau von Parteien
und Organisationen, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit genießen
und natürlich die vollständige Einstellung von Terroraktionen und
die Entwaffnung der Terrororganisationen.
Erst nach dem Aufbau dieser Basis werden Wahlen stattfinden. Der
dabei gewählte Vertreter wird mit Israel über dauerhafte Grenzen des
Staates, den Status von Jerusalem und die anderen umstrittenen
Themen verhandeln. Die Wahlen im Januar 2006 sind zwar als ein
Schritt auf diesem Weg wichtig, doch halten sie dieser Prüfung nicht
stand. Und sowieso nicht, wenn der Hamas die Teilnahme an den Wahlen
gewährt werden sollte, ohne dass sie dabei ihre Waffen abgibt.
Wenn es einen demokratischen palästinensischen Staat geben wird,
ist sicher, dass auch ein Weg gefunden wird, der den Zugang des
jüdischen Volkes zu den ihm heiligen Stätten und das Recht von
Juden, im Land zu leben, sicherstellt. Die Anerkennung des Staates,
die wirtschaftliche Unterstützung und Übergabe der Gebiete, all das
muss in direktem Verhältnis zur Demokratisierung stehen. Und das
Wichtigste ist vielleicht, dass jene in der palästinensischen
Gesellschaft ermuntert werden müssen, die versuchen, demokratische
Reformen voranzubringen.
Der Verfasser ist Consultant und amtierte als Berater des
Ministers für Diaspora und Jerusalem im Büro des
Ministerpräsidenten. (Haaretz, 28.9.)
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