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(1) Forschungszentrum „Al-Mustaqbal“
beschreibt mögliche Szenarien nach der Abkopplung
Al-Mustaqbal, ein Hamas nahes Forschungszentrum in Gaza, über
vier mögliche Szenarien zum palästinensisch-israelischen Konflikt
nach der Abkopplung
Special Information Bulletin, Intelligence and Terrorism
Information Center at the Center for the Special Studies (C.S.S.),
12.7.2005 (Auszug):
Allgemeines:
Das Forschungszentrum „Al-Mustaqbal“, das sich
mit der „Hamas“-Bewegung identifiziert und in Gaza tätig ist,
veröffentlicht Forschungsarbeiten und Berichte. In den
Veröffentlichungen kommt die Auffassung der Hamas-Bewegung zum
Ausdruck, obwohl sie nicht die formelle Position der Hamas zeigen.
Die Leitung des Instituts unterliegt Dr. Ataf Avrahim Adwan, Dozent
für Staatswissenschaften, der sein Studium an der Universität von
Oxford absolviert hat und sich mit der „Partei der Rettung“
(Al-Khalas) identifiziert. In der Vergangenheit wurde das Institut
von Dr. Mahmud Alzahar, einer der Führer der Hamas, geleitet. Ein
Mitglied des Instituts ist anscheinend auch Dr. Aazi Hamis Yusuf
Hamed, Journalist und Herausgeber der Zeitung „Al-Risalah“, die sich
mit der Hamas identifiziert.
Das Zentrum veröffentlichte im Juni 2005 eine Forschungsarbeit
über den israelischen Abkopplungsplan. Die Arbeit analysiert, welche
Gestalt der israelisch-palästinensische Konflikt nach der
Durchsetzung des Plans annehmen könnte. Die Studie, die auf der
Internetseite der Hamas in arabischer Sprache
veröffentlicht wurde, basiert auf einer Vielzahl von Quellen und
Veröffentlichungen, hauptsächlich arabischen und israelischen. Unter
den Quellen, auf die sich die Forschung beruft, erscheint auch ein
Dokument über den Zweck des Abkopplungsplans, das von General Yaakov
Amidror verfasst und am „Jaffe-Zentrum für strategische Forschung“
der Universität von Tel Aviv veröffentlicht wurde, sowie Artikel aus
den israelischen Tageszeitungen „Haaretz“ und „Maariv“.
Die Studie sieht für die Zeit nach der Abkopplung vier mögliche
Szenarien voraus:
- Eine Ruhephase der
israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen. Die Zeit wird
für eine gründliche „Überholung“ im internen palästinensischen
Forum genutzt. Dieses Szenario betrachtet die Abkopplung als
letzten israelischen Verzicht auf lange Zeit, bis sich auf lange
Sicht eine Demokratisierung in der palästinensischen Gesellschaft
und Politik einstellt. Nach Ansicht des Verfassers der Studie
werden die USA und Israel danach streben, diesen Prozess zu
beaufsichtigen.
- Die Wiederaufnahme der Konfrontationen aus
dem Gazastreifen und der Westbank, wobei massiv verbesserte
Qassam-Raketen eingesetzt werden, die als „strategische Waffen“
für die zukünftigen palästinensisch-israelischen Konfrontationen
bezeichnet werden. Israel könnte als Reaktion darauf in den
Gazastreifen einmarschieren, mit dem Ziel, die
Terrororganisationen von dort herauszuholen, ähnlich wie man es
1982 in Beirut getan hat.
- Begrenzte und gezügelte Konfrontationen,
ähnlich wie in der derzeitigen „Ruhephase“. Die palästinensische
Seite wird weiter agieren, hauptsächlich im Gazastreifen, als
Reaktion auf Aktionen, die Israel in der Westbank durchführen
wird. Der Verfasser der Studie rechnet mit Schwierigkeiten bei der
Durchführung von Selbstmordaktionen in der Westbank aufgrund der
Fertigstellung des Zauns und daher wird bei diesem Szenario
besonders der Gebrauch von Qassam-Raketen betont.
- Ausweitung der internen und sicherheitsbezogengen Anarchie,
sowie Auseinandersetzungen zwischen der Palästinensischen
Autonomiebehörde und verschiedenen palästinensischen
Organisationen. Im Rahmen dieses Szenarios ist eine
ägyptische, politische oder sogar militärische Einmischung
möglich, mit dem Ziel, die Auseinandersetzungen zu beenden. In den
Augen des Verfassers der Studie ist dies das schlimmste Szenario
und das unwahrscheinlichste. Die „Hamas“ ist grundsätzlich gegen
diese Entwicklung, obwohl sie keine andere Wahl hat. Sollte sie
dazu gezwungen sein, wird sie nicht zögern, mit der
Autonomiebehörde auf Konfrontationskurs zu gehen.
Die Position der Palästinensischen Autonomiebehörde in
Bezug auf den Abkopplungsplan:
In der Studie heißt es, dass die Palästinensische
Autonomiebehörde den Abkopplungsplan trotz der Zweifel, die sie an
der Aufrichtigkeit der israelischen Pläne hat, gefördert habe. Die
offizielen Erklärungen in Bezug auf die Unterstützung haben deutlich
die Unfähigkeit gezeigt, eine integrative strategische Position in
Bezug auf den israelischen Plan zu beziehen. Der israelische Rückzug
wird nach Meinung des Verfassers der Studie entsprechend einer
früheren Koordinierung zwischen der Autonomiebehörde und Israel
durchgeführt und sie könnte in Augen des palästinensischen
Volkes als Ergebnis der Verhandlungen zwischen Israel und der
Autonomiebehörde betrachtet werden.
Gegenüber der sympathisierenden Einstellung der Autonomiebehörde,
befindet sich der „palästinensische Widerstand“ (der Hamas und
anderer Terrororganisationen), und die Auffassung, dass der
israelische Rückzug nichts anderes ist als eine einzige große
Täuschung. Nach Auffassung des Verfassers der Studie hingegen ist
die „Abkopplung eine der Früchte des Widerstands und der Schläge
(gegen Israel) der palästinensischen Kämpfer des Heiligen Krieges
(der Mujahedin)“. Nach Ansicht des Verfassers der Studie glaubt
Israel, dass die Palästinensische Autonomiebehörde auf keinen Fall
den Gazastreifen (nach der Abkopplung) kontrollieren könne und
deshalb sei es wichtig, dass es eine Koordinierung zwischen
der Autonomiebehörde und den verschiedenen palästinensischen
Organisationen (und nicht zwischen der Autonomiebehörde und
Israel) gibt.
Szenarien nach der Abkopplung:
Der Verfasser der Studie erklärt, dass es schwer sei, das
Ergebnis des israelischen Vorgehens vorherzusagen, da sich die
Ereignisse überschlagen werden. Das eine oder andere dramatische
Ereignis kann seiner Meinung nach alle Karten vermischen.
Dementsprechend führt der Verfasser vier verschiedene Szenarien auf,
die seiner Meinung nach nach dem Rückzug Israels aus Gaza
stattfinden können.
Erstes Szenario:
Eine Ruhephase in den
palästinensisch-israelischen Auseinandersetzungen. Sie wird für eine
„Überholung“ in den Einrichtungen der Palästinensischen
Autonomiebehörde genutzt:
a) Diese Zeit wird von den Palästinensern genutzt werden, um
sich zu reorganisieren und die politischen und
Sicherheiteeinrichtungen zu erneuern. b) Dieses Szenario
sieht in der Abkopplung von Gaza und in der Räumung der Siedlungen
in der Westbank die letzten israelischen Konzessionen für eine sehr
lange Zeit (mehrere Jahrzehnte). c) Im Rahmen dieses
Szenarios ist nach Meinung des Verfassers der Studie die Errichtung
eines zeitweiligen palästinensischen Staates möglich, der den
Gazastreifen und einige Gebiete der Westbank umfasst.
Zweites Szenario:
Erneuerung der umfassenden Konfrontationen aus
dem Gazastreifen und aus der Westbank am Ende der Abkopplung, wobei
häufig Gebrauch von Qassam-Raketen gemacht wird, die als
„strategische Waffen“ gelten:
a) Der Verfasser behauptet, dass die derzeitige „Ruhe“-Phase
die moralische und materielle Stärke der Terrororganisationen
(„Widerstandsgruppierungen“) nur verstärkt hat. In diesem Rahmen
haben sie Munition angesammelt und Kampfmittel
entwickelt. b) Bei diesem Szenario erwartet er, dass
Auseinandersetzungen direkt nach der Abkopplung erneut ausbrechen
werden und es damit aus dem Gazastreifen zum Beschuss auf
Ortschaften in der Nähe des Gazastreifens kommen wird. Auch die
Terrororganisationen in der Westbank werden die Gewaltaktionen
wieder aufnehmen. c) Entsprechend dieses Szenarios wird es
Vorbereitungen geben, die sich auf Städte und Dörfer verteilen,
Guerilla-Aktionen von der Art, wie sie im Gazastreifen vor der
„Ruhephase“ stattfanden.
Drittes Szenario:
Begrenzte und gezügelte Konfrontationen (ähnlich
wie in der „Ruhephase“ von heute). Dieses Szenario unterscheidet
sich von dem vorherigen im Umfang und der Intensität der
palästinensischen bewaffneten Aktionen, hauptsächlich im
Gazastreifen. Entsprechend diesem Szenario wird die palästinensische
Seite nicht die Waffen niederlegen, sondern weiter auf kontrollierte
und bedachte Art agieren, hauptsächlich als Reaktion auf das, was
der Verfasser als „Unruhe und Verbrechen“ Israels in der Westbank
bezeichnet.
Die palästinensischen Aktionen aus dem Gazastreifen heraus werden
sich im Abschuss von Qassam-Raketen auf die israelischen Orte in der
Nähe des Gazastreifens ausdrücken. Der Verfasser ist der
Überzeugung, dass es am Ende des Zaunbaus unmöglich sein wird,
Selbstmordaktionen aus der Westbank heraus durchzuführen, und die
bewaffneten palästinensischen Aktionen in der Westbank sich daher
nur gegen Soldaten und Siedler richten werden.
Viertes Szenario:
Die Vertiefung der Anarchie im Sicherheitsbereich in den Gebieten
der „Palästinensischen Autonomiebehörde“ und ihre Ausbreitung in
weitere Gebieten in der Westbank und dem Gazastreifen. Im Rahmen
dieses Szenarios kann nach Meinung des Verfassers eine
Auseinandersetzung zwischen der Palästinensischen
Autonomiebehörde und den bewaffneten palästinensischen
Organisationen nicht ausgeschlossen werden, so wie es im
Libanon geschehen ist und Israel einfach zugesehen hat. Dieses
Szenario wird eher den internen Konflikt innerhalb des
palästinensischen Volkes fördern als die Konfrontation mit Israel.
Nach Meinung des Verfassers der Studie wird eine ägyptische
Vermittlung mit internationaler Unterstützung oder sogar mit
militärischer Beteiligung einen palästinensischen Bruderkrieg im
Keim ersticken. Dieses Szenario ist in den Augen des Verfassers
das schlimmste und unwahrscheinlichste.
Zusammenfassung und Schlussfolgerung:
Die Studie des Zentrums „Al-Mustaqbal“ spiegelt das Bewusstsein
der Hamas für das schwere Dilemma wider, das den Palästinensern in
der Zeit nach der Abkopplung bevorsteht. Einerseits wird die
Palästinensische Autonomiebehörde unter israelischem,
arabischem und internationalem Druck stehen, der Anarchie
ein Ende zu setzen, eine geordnete Regierung zu errichten und eine
Demokratisierung der palästinensischen Gesellschaft und Politik als
Bedingung weiterer Fortschritte einzuleiten. All dies nach Meinung
des Verfassers ohne die wirkliche Bereitschaft der israelischen
Regierung unter der Führung von Ariel Sharon zu weiteren
territorialen Konzessionen.
Unter diesen Umständen rechnet der Verfasser damit, dass die
gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Israel
andauern werden, obwohl er auch ein Szenario für möglich hält, bei
dem es zugunsten einer palästinensischen „Generalüberholung“ zur
Beendigung der Auseinandersetzungen kommt. Die neue Runde der
Auseinandersetzungen könnte in Form einer umfassenden Konfrontation
oder auch als begrenzte und kontrollierte Konfrontation nach dem
Format der heutigen „Ruhephase“ stattfinden. Die „strategische
Waffe“, die nach Meinung des Verfassers bei der nächsten Runde der
Auseinandersetzungen großen Gebrauch finden wird, sind
Qassam-Raketen mit weit größerer Reichweite, die
dann auch in der Westbank zum Einsatz kommen
werden. Der Verfasser der Studie bezieht sich so gut wie nicht auf
die „Waffe der Selbtsmordattentate“ (die ihre zentrale Aufgabe in
der vorherigen Runde der Auseinandersetzungen erfüllt hat),
anscheinend wegen seiner Einschätzung in Bezug auf die
Schwierigkeiten, die im Gebrauch von Selbstmordattentätern zu
erwarten sind, wenn der Sicherheitszaun fertiggestellt ist.
Der Verfasser der Studie versucht sich nicht festzulegen und
eindeutig zu behaupten, dass die Hamas die zwei Szenarien der
Fortführung der Auseinandersetzungen (das zweite und dritte
Szenario) vorzieht. Doch in einem internen Dokument der
Hamas über die Abkopplung, das im Mai 2004 erschien, wird wiederholt
erklärt, dass die Anschläge auch nach der Abkopplung andauern
werden: „Der israelische Rückzug aus dem Gazastreifen wird
die Fortführung des Widerstandsplans weder ungültig machen, noch bis
zur Durchführung des Rückzugs aus dem gesamten palästinensischen
Land, Rückkehr der Flüchtlinge und vollständigen Rückgabe der Rechte
der Flüchtlinge verzögern“ (siehe Anhang b der Quelle: May 23, 2004,
Document about dealing with the expected [Israeli] withdrawal in the
[Gaza] Strip [i.e. the Israeli disengagemnt plan]. Das Dokument
wurde am 8. Juli 2004 im Jenin Charity Committee, das der Hamas nahe
steht, durch Zahal beschlagnahmt).
Bei den möglichen Szenarien, die der Verfasser der Studie
analysiert, fehlt das Szenario der Erneuerung der
Verhandlungen mit Israel und die Durchführung der „road
map“. In einem weiteren pessimistischen Szenario, das der
Verfasser für möglich, wenn auch für recht unwahrscheinlich hält,
wird die Palästinensische Autonomiebehörde versuchen, die
Hamas und den übrigen bewaffneten Organisationen ihre Herrschaft
aufzuzwingen, was zu einer palästinensischen Konfrontation führen
könnte. Dieses Szenario ist das von der Hamas am wenigsten
gewünschte, die daran interessiert ist, einen palästinensischen
Bruderkrieg zu verhindern. Doch der Verfasser der Studie bindet auch
andeutungsweise die Drohung der Hamas ein, dass diese, wenn sie dazu
gezwungen sei, keine andere Wahl habe, als mit einem Angriffskrieg
zu erwidern, trotz der folgenschweren Bedeutung, die dies haben
könnte.
Quelle: Intelligence and Terrorism Information Center at
the Center for the Special Studies (C.S.S.), 12.7.2005 (http://www.intelligence.org.il/). Ganzer
Text im pdf-Format: http://www.intelligence.org.il/sp/7_05/img/july27_05.pdf
English (pdf): http://www.intelligence.org.il/eng/eng_n/pdf/mustaqbal.pdf
Die deutsche Zusammenfassung finden Sie auch auf unserer Website
http://www.israel.de/: http://berlin.mfa.gov.il/mfm/web/main/document.asp?DocumentID=81004&MissionID=88
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