(2) Interview mit
Hamas-Führer Mahmud el-Saha, Corriere de la Serra,
8.7.05
Vollständige Übersetzung eines Artikels aus der italienischen
Tageszeitung „Corriere de la Serra“ vom 8.7.2005. Der Artikel
beinhaltet ein Interview mit Mahmud el-Saha, dem Anführer der
palästinensischen Hamas-Bewegung, am Tag der Londoner
Selbstmordattentate vom 7.7. Der Artikel erschien unter der
Überschrift:
„Dies passiert jenen, die sich auf die Seite Amerikas stellen",
von Lorenzo Cremonesi
Die Botschaft der Anschläge von London erreichte el-Saha während
des langen Interviews, das bei ihm zu Hause stattfand. „Das passiert
den Staaten, die die USA unterstützen. Die Regierung Tony Blair
schickte ihre Soldaten gemeinsam mit den Amerikanern in den Irak.
Richtig oder nicht? Also darf man sich nicht wundern, wenn sie zu
Hause Attentate zurückbekommen.“
Das sagte der neue Anführer der Hamas, der radikalislamischen
palästinensischen Organisation, die sich am meisten mit den
Selbstmordattentaten in Israel identifiziert. Danach versucht er,
den Eindruck zu verbessern:
„Ich will nicht, dass sie mich ungebührend zitieren. Ich bin
gegen Attentate auf Zivilisten, alle Zivilisten egal wo. Aber sagen
wir die Wahrheit: Wenn die britischen Soldaten nicht in Basra oder
in Bagdad gewesen wären, hätten die Anschläge heute in London nicht
stattgefunden."
Sind Sie der Meinung, dass die Hamas mit den Anschläge in London
einverstanden ist?
„Das habe ich nie gesagt. Ich wiederhole, der Islam ist, im
Grundsatz, gegen Anschläge auf Zivilisten. Aber ich versuche mir
auch die Gründe der Attentäter klar zu machen, und ich finde eine
sehr einfache Antwort. Es gibt in der Welt eine breite
Volksbewegung, die die arrogante Hegemonie der Amerikaner
verurteilt. Wir haben das auch bei den riesigen Demonstrationen
anlässlich des G-8-Gipfels gesehen. Die Großmächte der Welt, allen
voran die Regierungen Bushs und Blairs, müssten der Stimme der armen
Länder mehr Aufmerksamkeit schenken."
Denken Sie nicht, dass das gegenwärtige Morden schrecklich ist
und dass Ihre Verurteilung deutlicher und nachdrücklicher sein
sollte?
„Ich hätte eine nachdrücklichere Verurteilung der sogenannten
zivilisierten Welt erwarte, nachdem die Israelis versucht haben,
mich am 10. Dezember 2003 mit Raketen zu ermorden, und an meiner
Stelle töteten sie meine Frau und einen meiner Söhne."
Dies war seine kurze Antwort, als er sein neugebautes Haus
vorführte und Bilder derer zeigte, die vor zwei Jahren getötet
wurden.
Seit vergangenem Frühling trat el-Saha an die Stelle der zwei
historischen Anführer der Hamas, Sheikh Ahmed Yassin und Aziz
el-Rantissi, die von Israel getötet wurden. Seine Worte sind voll
Feindseligkeit.
„Auf jeden Fall können die amerikanischen oder israelische Waffen
sehr wenig tun, denn am Ende wird der Islam siegen. Unsere Religion,
unsere Kultur, wird die westliche Dekadenz in nur einem einzigen
Jahrzehnt besiegt haben. In 50 Jahren wird sich niemand auch nur im
Geringsten an die USA erinnern.“
In wenigen Wochen, sagt man, werden die Israelis die Siedlungen
im Gazastreifen aufgeben. Wird die Hamas danach die Anschläge
wiederaufnehmen?
„Wir haben deutlich gesagt, dass wir nicht die ersten sein
werden, die zur Gewalt zurückkehren. Unsere Aktionen werden nur die
der Israelis vergelten. Wir werden alles tun, um den Rückzug der
Israelis nicht zu stören, sollen sie doch zum Teufel gehen. Das
Problem wird erst danach kommen, da im Herzen eines jeden
Palästinensers der Wille ist, Gaza zu befreien, muss damit auch die
Befreiung Jerusalems und der Westbank in Verbindung stehen."
Heißt das, was Sie sagen, dass Sie bereit sind zur Kooperation
mit Israel in den Grenzen von 1967?
„Keinesfalls, nein. Das kann eine zeitliche Lösung sein, 5 bis 10
Jahre maximal. Am Ende muss sich jeder Palästinenser zum
muslimischen Leben bekehren. Auf lange Sicht wird Israel völlig vom
Erdboden verschwunden sein." (Corriere de la Serra, 8.7.)
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