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(5) „Runter von
den Dächern“, Kommentar von Yoel Marcus, Ha’aretz,
19.7.05
„Vor nicht allzu langer Zeit beschäftigte man sich hierzulande
mit dem idiotischen Thema, wie man die Palästinenser davon abhalten
könne, im Zuge der Abkopplung auf den Dächern zu tanzen - als ob es
eine Rolle spielen würde, wo sie tanzen. Doch wenn wir nun sehen,
wie verrückt sich die Palästinenser einen Monat vor Israels Abzug
aus dem Gazastreifen aufführen, wie sie in einer Art
Parallelveranstaltung zum Tanz auf den Dächern Selbstmordattentäter
losschicken und israelische Städte mit Raketen beschießen, dann kann
man nur zu der Ansicht kommen, dass dort irgendwo eine Schraube
locker sein muss. Wie es Abba Eban so unvergesslich ausgedrückt hat,
versäumen die Palästinenser niemals eine Gelegenheit, eine
Gelegenheit zu versäumen. Warum werfen sie Ariel Scharon einen
Knüppel zwischen die Beine? Ausgerechnet ihm, der eine Entscheidung
getroffen und mit Nerven aus Stahl seiner Partei und verschiedenen
Extremisten die Stirn geboten hat? Warum zerstören sie alles,
nachdem dieser Mann zu seiner Entscheidung steht, einen dramatischen
Schritt zu gehen? Nachdem er den Palästinensern für ihren Wunsch
nach einem Staat, wie ihn alle anderen haben, zum ersten Mal wieder
einen Hoffnungsschimmer geboten hat?
Warum ging wohl in Sharon, der die meisten der Siedlungen
erträumt und gebaut hat, diese Meinungsänderung vor? Vielleicht
werden wir das auf Grund seiner Memoiren oder einer zukünftigen
Biographie herausfinden. Nach meiner Einschätzung hat Sharon als
altes Streitross verstanden, dass militärische Stärke gegen den
Terror alles getan hat, was sie tun konnte und dass die Welt seit
dem Zusammenbruch der Zwillingstürme in New York und dem Erstarken
des islamistischen, fanatischen Terrors in Gut und Böse geteilt ist.
So hat er sich Präsident Bush, dem selbsternannten General Gottes,
im Kampf gegen die Drahtzieher des Terrors und gegen die Mächte der
Finsternis, wo immer sie auch sind, angeschlossen. Die Vernünftigen
dieser Welt möchten ein Ende dieses Konflikts. Und Sharon ist
derjenige, der internationale Unterstützung erhalten hat, nicht nur
für Israel sondern auch für die Palästinenser, um Bushs Traum wahr
werden zu lassen.
Sharons Plan für den einseitigen oder koordinierten Rückzug aus
Gaza hätte von den Palästinensern als beste Nachricht aller Zeiten
willkommen geheißen werden müssen. Denn ich kann mich nicht daran
erinnern, dass ihnen ein eigenständiger palästinensischer Staat oder
die Rückgabe irgendeines im Jahr 1948 eroberten Streifen Landes
angeboten worden war, als sie unter jordanischer Besatzung lebten.
Dank Sharon anerkennt die Mehrheit der israelischen Bevölkerung die
Lösung, nach der es zwei Staaten innerhalb Israels Grenzen geben
soll und dass der größte Teil der Territorien früher oder später im
Zuge eines Landtausches zurückgegeben werden wird. Und jeder, der
immer noch denkt, dass die Evakuierung des Gazastreifens die letzte
sein wird, liegt falsch. Das jetzige Projekt ist ein Pilotprojekt,
das von den Demokratien der westlichen Welt unterstützt wird und
diesen liegt nicht daran, dass dieses Projekt auf der Nase
landet.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt des Spiels müssen beide Seiten ihre
Extremisten und die ablehnenden Kräfte in ihren Lagern unter
Kontrolle bringen. Jedoch gibt es keine Symmetrie zwischen den
internen Konflikten beider Völker. Hier in Israel unterstützt die
Mehrheit die Abkopplung und in einer gefestigten Demokratie wie
Israel, ist es der Wille der Mehrheit, der zählt, egal, wie sehr die
Extremisten demonstrieren und mit einem Bürgerkrieg drohen. Die
Armee wird ihre Mission ausführen, selbst wenn die Verrücktesten der
Verrückten versuchen, das Land in einen blutigen Kampf zu ziehen.
Jeder, der sah wir ruhig Sharon in der Fernsehsendung "Begegnung mit
der Presse" die Fragen des Interviewers beantwortete, konnte
erkennen, dass die Angelegenheit aus seiner Sicht bereits
abgeschlossen ist. Israel zieht aus dem Gazastreifen ab, selbst wenn
dies bedeutet, dass es Zusammenstöße mit Extremisten gibt.
Der Unterschied zwischen den Palästinensern und uns ist
derjenige, dass ihre Organisationen jedes Mal, wenn sie anfangen
miteinander zu streiten, auf Juden schießen. Während der letzten
vier Tage sind mehr als hundert Qassam-Raketen und Mörsergranaten
auf israelische Siedlungen abgeschossen worden. Wenn Sharon sagt, es
gibt keinen Rückzug unter Feuer, meint er damit nicht, dass der
Rückzug abgeblasen wird, sondern es bedeutet, dass die israelische
Armee en gros in den Gazastreifen marschieren wird, um das Feuer zu
löschen.
Abu Mazen hat sich selbst den Ruf eines Schwächlings zugezogen.
Doch er kann nicht die ganze Zeit herumlaufen und auf seine
Schwachheit plädieren, sagt Sharon. Menschen werden nicht zu
Führungskräften, wenn sie schwach sind - insbesondere nicht in einem
Staat, der "mit Blut und Feuer" errichtet wird. Und es gibt viele,
die der Überzeugung sind, dass Abu Mazen nicht so schwach ist, wie
er vorgibt zu sein. Während ihres letzten Treffens sagte Sharon zu
Abu Mazen: Wir haben dir viel Zeit gegeben, und wir haben eine Menge
Zurückhaltung an den Tag gelegt. Doch die Zeit ist gekommen, da du
selbst Ordnung in deinem Haus schaffen musst.
Die Aktionen der Palästinenser, ihre Attentate und ihr
Raketenbeschuss bestärken nur die Fanatiker in Israel. Sharons
Position in seiner Partei könnte Schaden nehmen. Er könnte aus der
Partei ausgeschlossen werden und eine dritte Intifada könnte
beginnen. Ist es das, was die Palästinenser wollen? Wie oft noch
verderben es sich diese armen Leute selbst? Wie viel Töten und
Blutvergießen muss es noch geben, bevor sie den Rat eines
israelischen Finanzministers annehmen, der seinem Volk sagte:
‚Runter von den Dächern, ihr Verrückten!’" (Yoel Marcus, Ha’aretz,
19.7.)
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