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(4) Interview mit
Siedlern im Gazastreifen
Auszüge
aus einem Interview vom 17. Februar 2005:
Der 30jährige Tal Shahar (Bild:
HTML-Ausgabe) lebt seit sechs Jahren in Nissanit. Er ist mit der
Räumung einverstanden.
„Wir
möchten diesen Ort seit langem verlassen, vor allem, seitdem vor
fast einem Jahr eine Qassam-Rakete in unserem Haus einschlug. Meine
Nachbarn haben Verständnis für diesen Wunsch. Ich hatte mir gerade
vorgenommen, in den Raum zu gehen, in dem die Rakete einschlug, um
etwas zu bügeln. Der ganze Raum flog in die Luft. Unser Sohn war 4
Monate alt. Wir haben es gerade noch geschafft, ihn vom Sofa zu
holen, bevor dieses von der Wucht des Einschlags umgehauen
wurde.“
„Ursprünglich
waren wir wegen der finanziellen Vergünstigungen hierher gekommen.
Keiner von uns wäre in der Lage gewesen, irgendwo anders Land in
einer so malerischen Umgebung zum gleichen Preis zu kaufen, zu dem
wir das Angebot bekamen. Deshalb kamen alle hierher, meine Eltern,
meine Schwester, mein Schwager. Wir sind alle bereit, diesen Ort
hier zu verlassen. Und wir sind nicht die einzigen. Es gibt etwa 400
Familien in Nissanit, und 90% von ihnen sind für die Evakuierung
bereit.“
„Wir
investieren nichts mehr in das Haus und auch nicht in den Garten.
Ich habe Windspiele gekauft, werde sie jedoch nicht aufhängen.
Selbst die Unordnung im Haus beseitigen wir nicht mehr vollständig.
Meine Frau und ich arbeiten in einer Textil-Fabrik im Industriepark
Erez. Auch diese Arbeitsplätze werden wir verlassen. Die Fabrik soll
nach Sderot verlegt werden. Doch wir wollen nicht in eine andere
Siedlung ziehen, und ganz bestimmt nicht hier in dieser Gegend. Ich
würde gern in einen Ort im nördlichen Negev ziehen, zum Beispiel
nach Nehora." (...)
Der 56jährige Shlomo Wasserteil (Bild:
HTML-Ausgabe) lebt seit 27 Jahren in Ganei Tal und wäre unter
bestimmten Bedingungen bereit, die Siedlung zu
verlassen.
„Ich
bin Landwirt. In meiner Gärtnerei produziere ich Geranientriebe.
Jedes Jahr exportiere ich Millionen davon. Ich habe sechs Kinder.
Außer einem Sohn, der nicht in Gush Katif lebt, wohnen alle im
Viertel Ganei Tal. Auch zwei Enkel habe ich hier. Ich bin der Sohn
von Shoah-Überlebenden. Nachdem mein Vater überlebt hatte, bekam er
Einreisegenehmigungen für vier Länder. Er ging nach Israel, weil er
sagte: 'Hier werde ich nicht noch einmal entwurzelt.' Vielleicht
würde er jetzt bedauern, dass er nicht nach New York gegangen
ist.“
„Im
Prinzip bin ich mit der Evakuierung nicht einverstanden. Deshalb
ging ich zu Ausschusstreffen der Knesset, um mich für die
Veränderung der Räumungskonditionen einzusetzen. Doch nach einigen
Treffen konnte ich nicht mehr. Ich hielt es nicht aus, wie sie dort
meine Seele und meinen Körper zerteilten. Mir kam es vor, als würde
ich mich selbst verkaufen.“
„Ich
vertrete sicher nicht jeden hier. Doch ich sage Ihnen, wenn der
Ministerpräsident nach Gush Katif gekommen wäre und uns persönlich
gesagt hätte: 'Schweren Herzens muss ich euch mitteilen, dass es zum
Wohl der Bürger und des Staates Israel keine andere Möglichkeit gibt
als euch zu evakuieren, doch ich sage euch meine Hilfe für den Umzug
zu' - dann hätte ich und viele andere geantwortet: 'Unsere größte
Sorge gilt dem Wohl des Volkes und wir werden die Menschen nicht für
das Land opfern.' Doch der Ministerpräsident kam nicht zu uns. Eines
Tages lasen wir in der Zeitung, dass der Ministerpräsident bekannt
gab, dass wir evakuiert würden, und wir haben seither nichts als
Schmähungen von ihm erlitten – dass wir gewalttätig und habgierig
seien.“
„Vor
einigen Wochen, es war Mitternacht, lag ich noch wach und sagte mir:
‚Ich werde versuchen, ein Bild von der Wand zu nehmen, um zu sehen,
wie sein würde, einzupacken’. Ich konnte es nicht tun. Sie werden
keine Gewalt anwenden müssen, um mich von hier wegzubringen. Wenn
die Polizei kommt, werde ich leise gehen. Aber ich bin nicht in der
Lage, zu packen und alles hier zu lassen, was ich alleine aufgebaut
habe. Jetzt sagen sie mir, ‚Wenn du nicht alle deine Dinge
fristgerecht eingepackt hast, wird dein Eigentum
konfisziert.’“
„Die
Leute in Nissanit und Alei Sinai haben es einfacher. Sie verdienen
ihr Geld innerhalb der Grünen Linie und sie werden an ihrem
Arbeitsplatz bleiben. Doch die Leute in Ganei Tal sind Landwirte.
Ich habe Treibhäuser auf einer Fläche von 10 Ar. Wie kann ich mit
diesen Treibhäusern umziehen, und wohin? Womit werde ich im
kommenden Jahr meinen Lebensunterhalt
verdienen?“
Die
47jährige Ayala Azran lebt seit 18 Jahren in Neveh Dekalim
und kämpft gegen die Siedlungsräumung.
„Ursprünglich
arbeitete ich als Künstlerin, ich machte Glasmalerei, doch während
der letzten fünf Jahre, einige Monate vor Beginn der Intifada, habe
begonnen, im Sicherheitsbereich zu arbeiten. (Azran leitet den von
Siedlern gegründeten Gush-Katif-Sicherheitsausschuss.) Die letzten
Monate habe ich ganz und gar dem Kampf gegen den Abkopplungsplan
gewidmet. Ich reise durch das ganze Land von Treffen zu Treffen.
Manchmal gehe ich erst schlafen, wenn mein Mann zum Morgengebet
aufsteht.“ (...)
„Manchmal
glaube ich, dass diese ganze Plage, die über uns gekommen ist, vom
Himmel geschickt wurde. Wir sind dazu bestimmt, die Rolle zur
Klärung unserer Identität zu übernehmen. Diese Abkopplung, von der
jeder redet, ist eigentlich eine Abkopplung von unserer Geschichte
und unserer Identität.“
„Zu
Hause ‚leben' wir die Räumung nicht. Ein Freund aus Ra’anana hat
mich gefragt: ‚Was? Ihr gießt wirklich noch den Garten?’ Ja, ich
gieße den Garten und wir pflanzen weiter Setzlinge. Und das nicht
aus Messianismus, sondern weil wir in Kontakt stehen, mit Israelis,
die uns stärken. Wenn aber - der Himmel möge und davor bewahren –
das alles doch geschehen wird, werden wir noch genug Zeit haben,
alles dafür zu organisieren. Auch jemand, der aus einer Wohnung in
der Stadt auszieht, muss nicht sechs Monate im voraus planen. (...)“
(Nach einem Bericht und mit Bildern von Ya'ir Sheleg, Ha’aretz,
17.2.05)
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