Zum Unabhängigkeitstag am Mittwoch, dem 7. Mai 2003 (Yom Ha'Atzma'ut) veröffentlichen wir heute den Brief eines israelischen Vaters an seinen Sohn. Er handelt von der ambivalenten Liebe eines Sabre (in Israel geborener) zu seiner Heimat, vom Charme der israelischen Identität und vom Verhältnis eines Vaters zu seinem Sohn, - der zweiten und dritten Gerneration des israelischen Staates. Den Text schrieb Yair Lapid, Publizist und Sohn des Vorsitzenden der Shinui-Partei, Tommy Lapid.


Mein lieber Sohn,

heute haben sie dir einen Personalausweis ausgestellt. Am Montag kam per Post ein brauner Umschlag an, der dich zum Innenministerium vorlädt: Du sollst zwei Bilder und Deine Geburtsurkunde mitbringen. Solltest du sie verloren haben, kannst du ja im Zweifelsfall auch mich mitbringen. Ich kann es bezeugen, denn ich war ja dabei, als du das Licht der Welt erblickt hast. Du hast irgendwie verärgert ausgesehen, als ob man dich gerade bei etwas gestört hätte. Drei Stunden später, als du und deine Mutter schon geschlafen haben, ging ich runter zur Aufnahme des Krankenhauses HaKiriya und die Sekretärin mit den zusammengebundenen Haaren hat mich nicht einmal angeguckt, als sie mich nach deinem Namen gefragt hat. Ich sagte "Yoav", und dann schrieb dich die Schwester in den Aktenordner rein. Danach gab sie mir das Zertifikat über dein Dasein. Ich ging wieder nach oben und betrachtete dich durch die Glasscheibe. Anders als du dir vielleicht vorstellst, glauben Eltern niemals, dass ihre !
Ki!
nder je groß werden könnten. Ich war fest davon überzeugt, dass du für immer 45 cm groß bleiben würdest, 3.650 gr. schwer, ohne Zähne und mit einer zerknitterten Stirn, als wolltest du mit mir schimpfen. Doch ich habe mich getäuscht (mit Ausnahme der Stirn vielleicht).

Dein neuer Personalausweis, mein Sohn, wird aus industriell gefertigtem blauen Plastik sein. Darauf wirst du ein Bild von dir finden ( - erschrick nicht, wenn du darauf aussiehst wie ein Serienkiller - alle sehen darauf so aus) und einige wenige Angaben zu deiner Person: Vorname, Familienname, männlich, jüdisch, Geburtsdatum. Du wirst ihn in die Hand nehmen und die zuständige Abteilung des Ministeriums verlassen. Wenn du Lust auf Tradition hast: Überquer die Straße, geh in die Pizzeria "HaSobel" und iss die Pizza mit Oliven. Denn genau das hat auch dein Vater vor 23 Jahren getan. Es kam uns schon immer so vor, als ob unser Leben hier begrenzt ist, - als ob wir hier die Tage verbringen würden, bis die 6. Flotte kommt, um uns zu evakuieren. Aber du gehörst ja mittlerweile schon zur Dritten Generation, und vielleicht haben wir uns ja trotzdem unsere kleine Ewigkeit hier aufgebaut.

Das hört sich vielleicht bisschen seltsam an, Yoavi, aber es schadet unserer Identität nicht, wenn wir sie auch ausweisen können. Sie setzt sich eigentlich aus sehr einfachen Dingen zusammen, die uns alle miteinander verbinden, ohne dass wir uns dessen bewusst sind: Gestern rief Dein Onkel Tamir bei mir an, um mir mitzuteilen, was er im Internet gelesen hat: Dass der Wasserspiegel des Sees Genezaret nur noch zwei Meter bis zur Roten Linie hat. Wir beide haben diese Nachricht sehr persönlich genommen: Schließlich gibt es nur ein einziges Land auf der Erde, das stolz auf einen solchen "Nationaltümpel" sein kann. Es wird wohl auch nur ein Land geben, wo man zwar den Ministerpräsidenten, den Außenminister und den Finanzminister beim Spitznamen aus der Kindheit kennt , aber den Vorgesetzten in der Armee bei seinem Nachnamen anspricht. Nur hier kann es dir passieren, dass du ein T-Shirt von den ,Lakers' trägst und zu den Fans von Makkabi gehörst. Und nur in diesem Land kann es dir passieren, dass du offenbar reich sein musst, wenn du Sozialist bist. Es gibt auch keinen anderen Ort auf der Welt, wo sich Kinder zur gleichen Zeit in der Sprache der Bibel unterhalten - und den Religionsunterricht hassen. Zweifelsohne ist es auch das einzige Land der Welt, in dem die Bezeichung "mein Bruder" bedeuten kann, dass ihr euch noch nie zuvor gesehen habt. Und wenn einer sagt, dass du ein Vollidiot bist, dann ist es klar, dass es dein bester Kumpel ist.

Die Geschichte hat es so gewollt, dass Dein Großvater in dieses Land gekommen ist. Ich habe diese Entscheidung für mich selbst gefällt. Und du brauchst dir über dieses Thema schon keine Gedanken mehr zu machen. Du kannst zwar versuchen, von hier auszubrechen, so wie es viele aus deiner Generation tun. Sicher wirst du es auch versuchen: Nach Indien reisen, im Ashram hocken, eine Mönchskutte tragen und "Hare Krishna" singen. Nach zwei Tagen öffnest du die Augen und entdeckst: Der Typ neben dir, der mit den Rasterlocken und zwei Meter hoch, hat in der Golani-Brigade gedient. Zweite Abteilung. Du kennst ihn zwar nicht, aber irgendwie doch: Auch er fand, dass Sergio Konstanza der lustigste Typ in ,Givat halfon einah onah' war. Auch er war im Live-Konzert von Shlomo Artzi - damals in Caesarea, auch er war heimlich in Dalit verknallt. Irgendeine Dalit. All das wird dir dein neuer Personalausweis bescheren, mein Sohn, und du wirst ihn nicht zurückgeben können.

Die zweitschwerste Sache für Eltern ist die Abhängigkeit von ihren Kindern, das schwerste aber, die Entdeckung ihrer Selbständigkeit. Manchmal bekomme ich Lust, mich für Playstation zu interessieren, aber ich glaube, dieser Zug ist für mich abgefahren. Ich glaube, wir stehen uns sehr nahe. Wir lieben uns. Und dann frage ich mich wieder, wo du nur die Kette mit dem Friedenszeichen herhast oder was genau beim Spiel ,Mishak Bareshet' vorgeht. Und ich frage mich auch, wer diejenige ist, die dich dazu bringt, am Shabatmorgen schon um 7 Uhr zu den Pfadfindern zu gehen, - mit Gel-gestylten Haaren (nicht dass ich etwas dagegen hätte, aber ich bin eben nicht der Typ dafür). Übrigens: Beim nächsten Mal wenn ich aufwache und mein Auto steht nicht genau an der Stelle, wo ich es geparkt habe, müssen wir ein ernstes Wörtchen miteinander reden. Irgendwie verbringe ich ein ganzes Leben mit dem Gefühl an deiner Seite, als hätte ich ein wichtiges Gespräch verpasst, das wir unbedingt hätten führen sollen. Anstatt dessen bin ich wie alle Vierzigjährigen (plusminus) voller Sorge, dass ich nicht cool genug sein könnte.

Jetzt kommt der Staat. Und ruft dich. Ganz über meinen Kopf hinweg. Soll ich dir was sagen? Was der Staat darf, darf ich schon lange. Der nächste braune Umschlag , den du erhältst, wird nur den ersten Befehl enthalten . Wir glauben zwar, dass wir informiert sind, modern, alleine über unser Leben bestimmen - und doch fallen wir am Ende alle in das gewohnte Muster zurück: Du wirst deinen Dienst im Militär ableisten, deine Mutter wird die Uniform waschen und weinen, ich werde dir langweilige Geschichten aus meiner Armeezeit erzählen, und Lior wird sich wünschen, dass du ihm erlaubst, einmal das Gewehr halten zu dürfen: Erlaub es ihm nicht, es ist kein Spielzeug.

In Wirklichkeit ist das "Israelisein" kein großer Spaß. Israel ist ein hartes und manchmal auch trauriges Land. Und zu alle dem ist dann auch noch am Monatsende der Geldbeutel leer. Aber wir gehören dazu. Und das ist das größte Geschenk, das ich habe. Gerade für mich. Würden wir nicht dazu gehören, würden wir einfach so leben und sterben, ohne die Fülle, die dazwischen liegt: Ja, Israel wird dein ganzes Leben in Anspruch nehmen. Aber es wir deinem Leben auch einen Sinn geben. Glaube mir, es lohnt sich.

Noch einmal: Wenn du willst, dass ich mit dir komme, den neuen Personalausweis abzuholen, dann brauchst du mich nur zu fragen. Es wird mir eine Ehre sein.


Yair Lapid (Yedioth Aharonoth)


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