Newsletter der Israelischen Botschaft in Berlin (Sonderausgabe)
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Montag, 14. April 2003


Ministerpräsident Ariel Sharon: "Letzten Endes wird es einen palästinensischen Staat geben"


Auszüge aus einem Interview der israelischen Tageszeitung Ha'aretz (Ausgabe vom 13.04.04) mit Ministerpräsident Ariel Sharon über neue Möglichkeiten im israelisch-palästinensischen Konflikt nach dem Irak-Krieg, die Idee zweier Staaten für zwei Völker und über den Abschied von Orten, die mit dem gesamten Verlauf der jüdischen Geschichte verbunden sind. Das Gespräch führte Ari Shavit, Ha'aretz:


Ha'aretz: "Herr Ministerpräsident Sharon, wir befinden uns derzeit in einer erstaunlichen historischen Situation. Die Realität um uns herum verändert sich radikal. Ist diese neue Realität des Nahen und Mittleren Ostens nach dem Fall des Irak von Ihrem Standpunkt aus betrachtet verheißungsvoll oder gefährlich, gut oder schlecht für Israel?

Ariel Sharon: Die irakische Führung war eine schreckliche und mörderische. Schon vor zig Jahren verstand sie, dass es unmöglich war, irgendwo eine islamische Bombe zu erwerben, und deshalb musste sie selbst hergestellt werden. Somit ist die Beseitigung der irakischen Bedrohung auf jeden Fall eine Erleichterung. Doch sie bedeutet nicht, dass alle Probleme, denen wir gegenüber stehen, beseitigt sind. Der Iran macht alle nur möglichen Anstrengungen, um Massenvernichtungswaffen herzustellen, und er ist damit beschäftigt, ballistische Flugkörper zu produzieren. Libyen bemüht sich sehr, Nuklearwaffen zu erwerben. Die Entwicklung in diesen Ländern ist gefährlich und ernst. Auch in Saudi-Arabien gibt es ein Regime, das hiesigen Terrororganisationen nachweislich Hilfe gibt.

Ha'aretz: Meinen Sie damit, dass das, was im Irak passiert ist, auf die eine oder andere Art auch im Iran, in Libyen und in Saudi-Arabien geschehen wird?

Sharon: Bezüglich des Irak zeigten die USA Führungsqualität auf höchster Ebene. Ich glaube nicht, dass es realistisch ist, zu denken, dass sofort nach Ende dieses einen Feldzuges ein nächster beginnen wird. Selbst eine Supermacht hat ihre Grenzen. Wenn man gewinnt, ist man bis zu einem gewissen Grad auch geschwächt.

Doch wir stehen der Möglichkeit gegenüber, dass hier eine andere Periode beginnen wird. Der Feldzug im Irak verursachte dem gesamten Nahen und Mittleren Osten einen Schock, und er bringt eine Aussicht auf große Veränderungen mit sich. Es gibt nun eine Gelegenheit, eine andere Beziehung zwischen uns und den arabischen Staaten, zwischen uns und den Palästinensern zu schaffen. Diese Gelegenheit darf nicht versäumt werden. Ich beabsichtige, diese Dinge mit aller Ernsthaftigkeit zu prüfen.

Ha'aretz: Denken Sie, es gibt eine Aussicht, in absehbarer Zukunft eine Vereinbarung zu erreichen?

Sharon: Dies hängt zu aller erst und vor allem von den Arabern ab. Eine Vereinbarung verpflichtet zu einer anderen Art von Führung - zu einem Kampf gegen den Terror und zu einer Reihe von Reformen. Sie verpflichtet zu einem absoluten Ende der Hetze und zur Demontierung aller Terrororganisationen. Wenn es eine Führung geben wird, die diese Dinge versteht und sie ernsthaft durchführt, dann existiert eine Möglichkeit, eine Vereinbarung zu erzielen.

Ha'aretz: Betrachten Sie Abu Mazen als einen Führer, mit dem es Ihnen möglich sein wird, solch eine Vereinbarung zu erzielen?

Sharon: Abu Mazen versteht, dass es unmöglich ist, Israel durch Terror zu bezwingen.

Ha'aretz: Eines Tages in nicht allzu ferner Zukunft wird vermutlich das Telefon läuten. Der Präsident der Vereinigten Staaten wird am Apparat sein. Er wird Ihnen sagen: "Arik, ich habe eine existenzielle Bedrohung von Israel abgewandt, ich habe eine Revolution in der ganzen Region entfacht. Nun bist du an der Reihe, deinen Beitrag zu leisten. Also, gib uns bitte Netzarim..." (Netzarim ist eine isolierte Siedlung im Gazastreifen)

Sharon: Es gibt Dinge, für die wir bereit sind, weitreichende Schritte zu unternehmen. Wir sind bereit, sehr schmerzhafte Schritte zu gehen. Doch es gibt eine Sache, die ich Präsident Bush schon oft gesagt habe: Ich habe in der Vergangenheit keine Zugeständnisse gemacht, ich mache jetzt keine Zugeständnisse, und ich werde auch in Zukunft keine Zugeständnisse machen, die in irgendeiner Hinsicht die Sicherheit Israels gefährden. Ich erklärte Präsident Bush, dass dies die historische Verantwortung ist, die ich für die Zukunft und für das Schicksal des jüdischen Volkes trage. Sie sollten das wissen - bezüglich des Themas Sicherheit gibt es keine Zugeständnisse. Wir werden diejenigen sein, die letztendlich entscheiden, was für Israel gefährlich und was ungefährlich ist.

Ha'aretz: Und was ist mit Netzarim?

Sharon: Ich möchte jetzt keine Diskussion über spezifische Orte führen. Dies ist ein heikles Thema und es besteht keine Notwendigkeit, so viel darüber zu reden. Doch wenn sich herausstellt, dass wir jemanden haben, mit dem wir reden können, wenn sich herausstellt, dass die andere Seite versteht, dass Frieden weder Terror noch die Unterwanderung des israelischen Staates bedeutet, dann sage ich definitiv, dass wir Schritte gehen müssen, die für jeden Juden und für mich persönlich schmerzhaft sind.

Ha'aretz: Ist dieser Ausdruck "schmerzhafte Zugeständnisse" nicht eine hohle Phrase?

Sharon: Ganz bestimmt nicht. Dieser Ausdruck kommt aus der Tiefe meiner Seele. Sehen Sie, wir sprechen über die Wiege des jüdischen Volkes. Unsere gesamte Geschichte ist mit diesen Orten verbunden. Bethlehem, Shiloh, Beit El. Und ich weiß, dass wir uns von einigen dieser Orte verabschieden müssen. Es wird einen Abschied von Orten geben, die mit dem gesamten Verlauf unserer Geschichte verbunden sind. Als Jude quält mich das. Doch ich habe beschlossen, jede Anstrengung zu unternehmen, eine Vereinbarung zu erzielen. Die rationale Notwendigkeit, eine Vereinbarung zu erzielen, überwiegt meine Emotionen.

Ha'aretz: Sie gründeten Siedlungen und Sie glaubten an die Siedlungen und förderten sie. Sind Sie nun darauf vorbereitet, die Evakuierung isolierter Siedlungen ins Auge zu fassen?

Sharon: Wenn wir eine Situation des wahren Friedens erreichen, des realen Friedens, des Friedens, der sich über Generationen erstreckt, werden wir schmerzhafte Zugeständnisse machen müssen. Nicht im Austausch für Versprechungen, sondern im Austausch für Frieden. (...)

Ha'aretz: Haben Sie wirklich die Idee von "Zwei Staaten für zwei Völker" angenommen? Sind Sie tatsächlich bereit, das westliche "Eretz Israel" (Cisjordanien, westlicher Teil des britischen Mandatsgebietes vom Mittelmeer bis zum Jordan, vgl. Vertrag von San Remo 1920; Anm. der Redaktion) zu teilen?

Sharon: Ich glaube, dass dies geschehen wird. Man muss die Dinge realistisch sehen. Letzten Endes wird es einen palästinensischen Staat geben. Ich betrachte die Dinge vor allem aus unserer Perspektive. Ich glaube nicht, dass wir über ein anderes Volk regieren und deren Leben beherrschen sollten. Ich glaube nicht, dass wir die Kraft dafür haben. Dies ist eine schwere Last für die Öffentlichkeit und bringt ethische und große wirtschaftliche Probleme mit sich.

Ha'aretz: Aber unter Ihrer Führung ging Israel wieder dazu über, palästinensische Städte direkt zu kontrollieren.

Sharon: Unser Aufenthalt in Dschenin und in Nablus ist temporär. Unsere Anwesenheit in diesen Städten wurde nötig, um israelische Bürger vor Terrorakten zu schützen. Es ist keine Situation, die andauern kann.

Ha'aretz: In der Vergangenheit sprachen Sie über ein langfristiges Interimsabkommen. Sie glaubten nicht an eine dauerhafte Lösung und an ein Ende des Konflikts.

Sharon: Ich bin der Meinung, dass gegenwärtig Möglichkeiten geschaffen wurden, die vorher nicht existierten. Die arabische Welt im allgemeinen und die Palästinenser im besonderen wurden aufgerüttelt. Deshalb gibt es nun eine Möglichkeit, ein Abkommen schneller zu erreichen, als die Leute denken.

Ha'aretz: Die israelische Öffentlichkeit hat Sie zweimal mit großer Mehrheit gewählt, weil sie wollte, dass Sie Yassir Arafat abwehren und besiegen. Haben Sie dies getan?

Sharon: Ich denke, einer unserer Erfolge ist, dass wir die Augen von vielen Leuten über die wahre Natur der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Person, die sie anführt, geöffnet haben, und somit haben wir Yassir Arafat irrelevant gemacht. Als ich diesen Ausdruck "irrelevant" in der Vergangenheit gebrauchte, schockierte dies viele, hauptsächlich diejenigen der schreibenden Zunft. Doch am Ende wurde Arafat irrelevant.

Ha'aretz: Fürchten Sie nicht, dass Sie vielleicht den Kampf gegen Arafat und gegen den Terror gewonnen haben, doch in der Angelegenheit des palästinensischen Staates und der Siedlungen verloren haben? Nach allem steht nun die "road map" auf der Agenda, und diese ist für Israel nicht sehr bequem.

Sharon: Wir unterstützten die Prinzipien, die Präsident Bush in seiner Rede vom 24. Juni 2002 präsentiert hat. Solange diese Rede als Stütze für die "road map" gilt, ist der Fahrplan akzeptabel. Bezüglich des letzten Entwurfs, der uns zugesandt wurde, haben wir 14 oder 15 Vorbehalte, die ich dem Weißen Haus genannt habe.

Ha'aretz: Welches sind die hauptsächlichen Vorbehalte?

Sharon: Das Hauptthema ist die Sicherheit: Wie soll man mit dem Terror umgehen. Es gibt in dieser Angelegenheit keine Meinungsunterschiede, jedoch einen Unterschied in der Wortwahl.

Das zweite Thema ist das der Umsetzung der einzelnen Schritte. Das gemeinsame Einvernehmen zwischen den USA und uns ist, dass es keinen Übergang von einem Schritt zum nächsten gibt, ohne dass der vorherige Schritt zu Ende geführt wurde. Entscheidend ist nicht der Zeitplan, sondern die Umsetzung der Schritte. Deshalb ist das schrittweise Vorgehen von vorrangiger Bedeutung für uns.

Unser dritter Vorbehalt betrifft das Recht auf Rückkehr. Dies stellt auf jeden Fall ein Problem dar.

Ha'aretz: Ist Ihre Bereitschaft, einen palästinensischen Staat anzuerkennen, abhängig davon, dass die Palästinenser auf das Rückkehrrecht verzichten?

Sharon: Wenn es jemals ein Ende des Konfliktes geben sollte, dann müssen die Palästinenser zuvor das Recht des jüdischen Volkes auf eine Heimat und die Existenz eines unabhängigen jüdischen Staates in der Heimat des jüdischen Volkes anerkennen. Aus meiner Warte ist dies die Bedingung für das, was ein Ende des Konfliktes genannt werden kann. Dies ist keine einfache Sache. Selbst die Abkommen, die wir mit Ägypten und Jordanien unterzeichneten, haben dies nicht beinhaltet. Deshalb brachten Sie kein Ende des Konfliktes. Dies sind wichtige, sehr bedeutende Abkommen, doch sie brachten kein Ende des Konfliktes. Das Ende des Konfliktes wird nur erreicht werden, wenn das Recht des jüdischen Volkes auf eine Heimat anerkannt werden wird.

Ha'aretz: Soweit in Sachen Ende des Prozesses. Glauben Sie, dass der Verzicht auf das Rückkehrrecht vorher kommen muss?

Sharon: Diese Angelegenheit muss von Anfang an klar sein. (...)

Ha'aretz: Schätzen Sie die Lage so ein, dass sich die düstere und gewalttätige Periode der letzten drei Jahre einem Ende nähert?

Sharon: Ich werde jede nur mögliche Anstrengung unternehmen, sie zu einem Ende zu bringen. Ich beabsichtige nicht, passiv dazusitzen. In dem Moment, in dem eine palästinensische Regierung entsteht, plane ich, mit ihr zusammenzuarbeiten. Ich werde nicht abwarten, bis das Telefon klingelt. (...)"

(Übersetzung aus dem Hebräischen. Ganzer Text:
http://www.haaretz.co.il/hasite/spages/283504.html)


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Dieser Newsletter mit Mitteilungen israelischer Ministerien und Meldungen aus der israelischen Presse wird von der Botschaft des Staates Israel in Berlin/Abteilung Öffentlichkeitsarbeit zusammengestellt. Anmerkungen oder Fragen richten Sie bitte an: botschaft@israel.de


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- Medienspiegel (Israelische Presse) der Deutschen Botschaft in Tel Aviv: http://www.germanemb.org.il/News-Media.asp
- Mitteilungen der Israelischen Verteidigungskräfte (eng.): http://www.idf.il/newsite/english/main.stm
- Newsletter des israelischen Außenministeriums (eng.): http://www.israel.org/mfa/go.asp?MFAH0dho0

© Botschaft des Staates Israel, 2003



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